Wir führten das Gespräch mit Alexander Teske am 02.01.2025.
Hanna: Wie hast unseren Blog kennengelernt?
Alexander Teske: Ich kümmere mich im Wochenkinder-Verein um die Öffentlichkeitsarbeit. Über die Kurkinder auf Instagram kam dann der Tipp, sich an euch zu wenden, ob ihr an unserem Thema interessiert seid. Ich merke selbst, wie wenig Wissen über DDR-Geschichte noch vorhanden ist. Bei meinen Töchtern in der Schule hat die DDR keine große Rolle gespielt. Wo soll das Wissen dann herkommen?
Hanna: Es unterscheidet sich auch sehr, was in ostdeutschen versus in westdeutschen Schulen behandelt wird.
Alexander Teske: Es ist immer die Frage, wer die Lehrbücher schreibt und den Lehrplan macht. Dadurch, dass an den ostdeutschen Universitäten viele westdeutsche Professoren unterrichten und auch in den Kultusministerien viele westdeutsche Beamte sind, gibt es oft einen bestimmten Blick darauf, was über die DDR gelehrt wird. Ich war froh, dass die Wende kam, ich hätte nie studieren dürfen, aber trotzdem stört mich manchmal die heutige Verengung auf Mauer – Stasi – SED.
Weronika: Ich habe ein paar Artikel von dir gelesen. Bei den Kurkindern war es so, dass wir das Thema nicht auf dem Schirm hatten. Die Wochenkinder waren schon eher ein Begriff für mich.
Alexander Teske: Bei der Aufarbeitung der Wochenkrippen gibt es viele Ablehnungsreflexe. Viele von den Älteren im Osten sagen, Macht doch die DDR nicht immer schlecht und Aus euch ist doch was geworden und Die Einrichtungen waren gut. Es gibt auch Wochenkinder, die sagen, ihnen hätte das nicht geschadet. Wir wollen niemanden einreden, dass er ein Trauma davongetragen hat, wenn er der Meinung ist, es geht ihm gut. Aber natürlich glauben Psychologen, dass man es nicht unbeschadet übersteht, von sechs Wochen bis drei Jahren jede Woche abgegeben zu werden.
Hanna: Wie kam es dazu, dass du dich persönlich mit dem Thema Wochenkrippe auseinandergesetzt hast?
Alexander Teske: Ich wusste immer, dass ich in die Wochenkrippe gegangen bin. Das ist nicht bei allen so: Manche wissen es gar nicht, wenn die Eltern ihnen das nicht gesagt haben, weil sie keine Erinnerung daran haben. Ich habe eine Betroffene kennengelernt, die hat erst von einer Verwandten davon erfahren, dass sie als Kind in der Wochenkrippe war, als ihre Mutter im Koma lag. Manche erfahren es erst kurz vor dem Tod der Eltern oder entdecken es in den Papieren.
Alexander Teske: Ich kümmere mich im Wochenkinder-Verein um die Öffentlichkeitsarbeit. Über die Kurkinder auf Instagram kam dann der Tipp, sich an euch zu wenden, ob ihr an unserem Thema interessiert seid. Ich merke selbst, wie wenig Wissen über DDR-Geschichte noch vorhanden ist. Bei meinen Töchtern in der Schule hat die DDR keine große Rolle gespielt. Wo soll das Wissen dann herkommen?
Hanna: Es unterscheidet sich auch sehr, was in ostdeutschen versus in westdeutschen Schulen behandelt wird.
Alexander Teske: Es ist immer die Frage, wer die Lehrbücher schreibt und den Lehrplan macht. Dadurch, dass an den ostdeutschen Universitäten viele westdeutsche Professoren unterrichten und auch in den Kultusministerien viele westdeutsche Beamte sind, gibt es oft einen bestimmten Blick darauf, was über die DDR gelehrt wird. Ich war froh, dass die Wende kam, ich hätte nie studieren dürfen, aber trotzdem stört mich manchmal die heutige Verengung auf Mauer – Stasi – SED.
Weronika: Ich habe ein paar Artikel von dir gelesen. Bei den Kurkindern war es so, dass wir das Thema nicht auf dem Schirm hatten. Die Wochenkinder waren schon eher ein Begriff für mich.
Alexander Teske: Bei der Aufarbeitung der Wochenkrippen gibt es viele Ablehnungsreflexe. Viele von den Älteren im Osten sagen, Macht doch die DDR nicht immer schlecht und Aus euch ist doch was geworden und Die Einrichtungen waren gut. Es gibt auch Wochenkinder, die sagen, ihnen hätte das nicht geschadet. Wir wollen niemanden einreden, dass er ein Trauma davongetragen hat, wenn er der Meinung ist, es geht ihm gut. Aber natürlich glauben Psychologen, dass man es nicht unbeschadet übersteht, von sechs Wochen bis drei Jahren jede Woche abgegeben zu werden.
Hanna: Wie kam es dazu, dass du dich persönlich mit dem Thema Wochenkrippe auseinandergesetzt hast?
Alexander Teske: Ich wusste immer, dass ich in die Wochenkrippe gegangen bin. Das ist nicht bei allen so: Manche wissen es gar nicht, wenn die Eltern ihnen das nicht gesagt haben, weil sie keine Erinnerung daran haben. Ich habe eine Betroffene kennengelernt, die hat erst von einer Verwandten davon erfahren, dass sie als Kind in der Wochenkrippe war, als ihre Mutter im Koma lag. Manche erfahren es erst kurz vor dem Tod der Eltern oder entdecken es in den Papieren.
Bei uns war das kein Geheimnis, meine Mutter hat das offen gesagt. Es hat mich auch nicht beschäftigt, bis ich selbst Vater geworden bin und mir klar geworden ist, was es bedeutet, sein Kind abzugeben. In den letzten Jahren hat mich das immer mehr beschäftigt, ich habe damals meinen Job gekündigt – ich war Redakteur bei der Tagesschau – und habe angefangen, mich als freier Autor damit zu beschäftigen.
Weronika: Weißt du, wie lange du in der Wochenkrippe warst?
Alexander Teske: Meine Mutter sagt, ich sei spät in die Wochenkrippe gegangen. Die ersten sechs Wochen konnte man zu Hause bleiben, danach bekam man kein Geld mehr, insofern musste sie dann arbeiten gehen, zumal es auch eine indirekte Arbeitspflicht gab: Wenn man nicht arbeiten gegangen ist, bekam man Probleme. Ich weiß zwar, dass es Hausfrauen gab, aber nicht, wie das in so einem Fall gelöst war.
Weronika: Weißt du, wie lange du in der Wochenkrippe warst?
Alexander Teske: Meine Mutter sagt, ich sei spät in die Wochenkrippe gegangen. Die ersten sechs Wochen konnte man zu Hause bleiben, danach bekam man kein Geld mehr, insofern musste sie dann arbeiten gehen, zumal es auch eine indirekte Arbeitspflicht gab: Wenn man nicht arbeiten gegangen ist, bekam man Probleme. Ich weiß zwar, dass es Hausfrauen gab, aber nicht, wie das in so einem Fall gelöst war.
Dann hat sich erst meine Tante, dann meine Oma einige Monate um mich gekümmert. Schlussendlich mussten sie mich aber abgeben. Weil es nicht genügend Tageskrippenplätze gab, bekam meine Mutter nur einen Platz in der Wochenkrippe angeboten. Ich war ein Jahr und drei Monate lang in der Wochenkrippe und ich glaube, dass ich mit sieben Monaten hingekommen bin.
Wahrscheinlich ist man umso resilienter, je später man hingeht. Insofern bin ich vielleicht nicht so betroffen oder traumatisiert, weil ich sieben oder vielleicht schon elf Monate alt war. Das war auf jeden Fall ein Vorteil zu einem Alter von sechs Wochen. Aber die genaue Dauer ist wahrscheinlich irrelevant für die Auswirkungen, solange es ein gewisser Zeitraum ist. Meine Oma hat mir erzählt, dass ich schon angefangen habe zu weinen, wenn wir mit dem Auto um bestimmte Ecken gebogen sind, weil ich wusste, wo es hingeht. Sie meinte auch, dass ich am Freitag beim Abholen nicht gesprochen habe, sondern erst am Samstag wieder.
Hanna: Was sind die wichtigsten Eckpunkte über das System Wochenkrippe, die man wissen sollte, wenn man davon noch nie etwas gehört hat?
Alexander Teske: Wochenkrippen gab es nicht nur in der DDR, sondern auch in anderen sozialistischen Ländern. Die Idee dahinter war, dass man die Arbeitskraft der Frau brauchte. Im Osten war durch die Reparationen an Russland jede Hand für den Wiederaufbau nötig, man konnte es sich nicht leisten, dass die Hälfte der Bevölkerung zu Hause blieb. Es gab auch ideologische Unterstützung, weil die Gleichberechtigung der Frau zumindest auf dem Papier eine große Rolle spielte. Zudem wollte man die Kinder beeinflussen und zu sozialistischen Persönlichkeiten erziehen, und dies eben nicht erst im Kindergarten und in der Schule. Fremdbetreuung an sich wurde großgeschrieben, auch in Sportschulen oder Ferienlagern.
Männer sind überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass sie sich auch um die Kinder kümmern könnten, und als der Schichtbetrieb aufkam, gab es ein Betreuungsproblem: Frauen brauchten Betreuungsplätze für ihre Kinder, nicht nur für den Tag, sondern auch für die Nacht oder das Wochenende. Dann wurden zu Beginn der 50er Jahre die Wochenkrippen eingerichtet. Das wurde dann massiv ausgebaut, die meisten Plätze gab es Ende der 60er. Die Einrichtungen existierten bis 1992, dann wurde die letzte geschlossen. Die Plätze wurden vorher schon zugunsten von Tageskrippen nach und nach abgebaut.
Man weiß nicht genau, wie viele Kinder in den Wochenkrippen waren, man kennt nur die Zahl der Plätze, die angeboten wurden. Da die Krippen aber immer überbelegt waren und nicht jeder die vollen drei Jahre hingegangen ist, kann man nur schätzen, wie viele es insgesamt waren. Die minimale Zahl ist 200.000, die maximale Zahl ist 600.000. Das sind Zahlen, die sind in ihrer Größe gar nicht zu erfassen. Man muss sich auch klar machen, dass viele Betroffene noch leben.
Hanna: Dafür, dass es ein System war, das sehr stark an diesen ideologischen Staat gebunden war, ging es nach der Wende noch verhältnismäßig lange weiter. Das war bei den Kurkindern ähnlich.
Alexander Teske: Man muss sagen, dass die Krippen besser geworden sind. Es gibt eine Frau Schmidt-Kollmer, die schon in den 60ern verglichen hat, wie es Kindern geht, die zu Hause, in der Tageskrippe, in der Wochenkrippe oder im Heim betreut wurden. Dabei ist rausgekommen, dass es den Heimkindern am schlechtesten ging, dann kam die Wochenkrippe, dann die Tagesbetreuung und am besten haben sich die Kinder zu Hause entwickelt. Das passte aber nicht ins Konzept und es wurde nicht veröffentlicht.
Hanna: Dafür, dass es ein System war, das sehr stark an diesen ideologischen Staat gebunden war, ging es nach der Wende noch verhältnismäßig lange weiter. Das war bei den Kurkindern ähnlich.
Alexander Teske: Man muss sagen, dass die Krippen besser geworden sind. Es gibt eine Frau Schmidt-Kollmer, die schon in den 60ern verglichen hat, wie es Kindern geht, die zu Hause, in der Tageskrippe, in der Wochenkrippe oder im Heim betreut wurden. Dabei ist rausgekommen, dass es den Heimkindern am schlechtesten ging, dann kam die Wochenkrippe, dann die Tagesbetreuung und am besten haben sich die Kinder zu Hause entwickelt. Das passte aber nicht ins Konzept und es wurde nicht veröffentlicht.
Die Konsequenz war nicht, die Plätze abzubauen, sondern die Einrichtungen im Hinblick auf Betreuungsschlüssel und Hygiene zu verbessern. Was fehlte, war die persönliche Zuwendung, die emotionale Nähe. Das war bei einer Betreuung von zehn Kindern auf einmal nicht möglich. Es gab zwar offiziell einen Betreuungsschlüssel von 1:4, aber das wurde oft nicht eingehalten. Die Bezahlung war schlecht, der Job war stressig. Wer konnte, hat sich einen anderen gesucht. Dadurch gab es unbesetzte Erzieherinnen-Stellen oder es wurden ungelernte Kräfte eingesetzt, zum Beispiel nachts auch mal ein Hausmeister.
Hanna: Wer hat in einer Wochenkrippe gearbeitet?
Alexander Teske: Am Anfang teilweise ungelernte Kräfte, man hat genommen, wen man kriegen konnte. Später gab es eine Ausbildungsstätte und Sonderkurse für die Wochenkrippen. Ausgebildete haben oft mit Hilfskräften zusammengearbeitet. In der Ausbildung stand aber im Vordergrund, die Kinder gesund zu halten. Man hat die Kinder zum Beispiel nachts fixiert, nicht aus Böswilligkeit, sondern weil Unfälle vermieden werden sollten.
Hanna: Wer hat in einer Wochenkrippe gearbeitet?
Alexander Teske: Am Anfang teilweise ungelernte Kräfte, man hat genommen, wen man kriegen konnte. Später gab es eine Ausbildungsstätte und Sonderkurse für die Wochenkrippen. Ausgebildete haben oft mit Hilfskräften zusammengearbeitet. In der Ausbildung stand aber im Vordergrund, die Kinder gesund zu halten. Man hat die Kinder zum Beispiel nachts fixiert, nicht aus Böswilligkeit, sondern weil Unfälle vermieden werden sollten.
Die Krippen sind besser geworden. Am Anfang gab es kein Spielzeug und nackte, weiße Wände, aber in den 80ern waren die Einrichtungen dann schon besser. Letzten Endes wird es wie überall gewesen sein: es gab Gute und es gab Schlechte. Es war eine Glückssache für ein Kind, wurde man von den Erzieherinnen gemocht oder nicht. Es gibt Berichte, dass Kinder auch mit nach Hause genommen wurden, wenn Erzieherinnen zum Beispiel selbst keine Kinder hatten und merkten, dieses Kind hat das vielleicht nötig. Aber genauso gab es die, die bestimmte Kinder nicht mochten.
Weronika: Wie kam es dazu, dass euer Verein gegründet wurde, und was sind eure Ziele?
Alexander Teske: Es wurden Selbsthilfegruppen gegründet, weil Leute das Bedürfnis hatten, sich über diese Geschichte auszutauschen. Dann hat man gemerkt, dass es gut wäre, sich eine Struktur zu geben, um Veranstaltungen zu organisieren oder Fördermittel zu bekommen. Der Verein ist frisch gegründet und möchte die Selbsthilfegruppen bei der Koordination unterstützen [Anm.: Hier der Link zur Vereinswebsite]. Unsere Ziele sind die Aufarbeitung und Bekanntmachung des Themas. Die Forschung ist auch noch in den Kinderschuhen: Es gibt eine einzige Studie der Uni Rostock mit 300 ehemaligen Wochenkindern zu den Folgen dieser Betreuungsform. Dabei ist rausgekommen, dass rund 90 Prozent mindestens eine Diagnose für eine psychische Erkrankung haben, viele haben vier. Sehr viele fühlen sich einem unsicheren Bindungstyp zugehörig, können also nur sehr schwer Bindung eingehen.
Weronika: Wie kam es dazu, dass euer Verein gegründet wurde, und was sind eure Ziele?
Alexander Teske: Es wurden Selbsthilfegruppen gegründet, weil Leute das Bedürfnis hatten, sich über diese Geschichte auszutauschen. Dann hat man gemerkt, dass es gut wäre, sich eine Struktur zu geben, um Veranstaltungen zu organisieren oder Fördermittel zu bekommen. Der Verein ist frisch gegründet und möchte die Selbsthilfegruppen bei der Koordination unterstützen [Anm.: Hier der Link zur Vereinswebsite]. Unsere Ziele sind die Aufarbeitung und Bekanntmachung des Themas. Die Forschung ist auch noch in den Kinderschuhen: Es gibt eine einzige Studie der Uni Rostock mit 300 ehemaligen Wochenkindern zu den Folgen dieser Betreuungsform. Dabei ist rausgekommen, dass rund 90 Prozent mindestens eine Diagnose für eine psychische Erkrankung haben, viele haben vier. Sehr viele fühlen sich einem unsicheren Bindungstyp zugehörig, können also nur sehr schwer Bindung eingehen.
Wir wollen auf das Thema aufmerksam machen. Es gibt heute 24-Stunden-Kitas, was man überhaupt nicht vergleichen kann, aber wir wollen zeigen, dass es Folgen haben kann, Kinder unbedacht so früh für längere Zeit wegzugeben. Es ist oft wahnsinnig emotional, wenn ich mit Jüngeren oder westdeutsch Sozialisierten darüber spreche. Sie fühlen sich häufig angegriffen und sagen, ich sei gegen Gleichberechtigung und es sei wichtig, dass es Betreuungsangebote gibt und Frauen arbeiten können. Das CSU- oder AfD-Weltbild, die Frau gehört nach Hause und muss sich um Haushalt und Kinder kümmern, das ist das andere Extrem. Das meine ich aber gar nicht: Es kann auch der Vater zu Hause bleiben. Aber es ist nicht schlau, Kinder in die Welt zu setzen und dann keine Lust zu haben, sich darum zu kümmern. Man kann nicht glauben, man hat Kinder und kann so weitermachen wie vorher. Es ist heute einfacher, es gibt Elterngeld, man kann bezahlt zu Hause bleiben oder sich aufteilen. Es ist wichtig, dass die Betreuungsangebote jetzt auch in der alten BRD aufkommen. Aber zwischen den beiden Extremen gibt es irgendwas dazwischen.
Viele Leute, die mit verschiedenen Folgen dieser Diktatur zu tun haben, sagen, dass Forschung fehlt. Es heißt, dass die DDR-Zeit sehr gut aufgearbeitet ist. Aber es gibt bestimmte weiße Flecken, die sehr wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Wer gibt Forschungsgelder, welche Professoren geben die Themen an den Unis vor? Man kann nur Dinge vorgeben, die man kennt. In Erfurt hat eine Studentin eine Bachelor-Arbeit über die Ausbildung der Erzieherinnen in der Wochenkrippe bei Florian von Rosenberg geschrieben. Das ist aber die totale Ausnahme. Wir haben uns einmal mit der SED-Opferbeauftragten getroffen, die aber im Gesamtdiskurs der BRD kaum wahrgenommen wird. Und selbst bei ihr sind wir ein Randthema, im Vordergrund stehen Stasi-Opfer, politische Gefangene und Freigekaufte oder Doping-Opfer. Andere Betroffene wie die Kurkinder oder Wochenkinder fallen dann hinten runter.
Weronika: Gerade bei diesen Kindheitserfahrungen kann man sich oft nicht bewusst erinnern, aber hat unter Umständen massive Schäden davongetragen, die man aber nicht so klar kommunizieren kann. Das spielt in die Aufarbeitung sicher rein.
Alexander Teske: Absolut. Es ist klar, dass einem politisch Inhaftierten Unrecht angetan wurde. Bei den Wochenkindern ist das unklarer.
Weronika: Gerade bei diesen Kindheitserfahrungen kann man sich oft nicht bewusst erinnern, aber hat unter Umständen massive Schäden davongetragen, die man aber nicht so klar kommunizieren kann. Das spielt in die Aufarbeitung sicher rein.
Alexander Teske: Absolut. Es ist klar, dass einem politisch Inhaftierten Unrecht angetan wurde. Bei den Wochenkindern ist das unklarer.
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Betriebswochenkrippe Chemnitz. |
Hanna: Wie offen wird darüber kommuniziert? Gibt es im Verein auch Eltern von Betroffenen?
Alexander Teske: Wir hatten zum ersten Mal ein Treffen mehrerer Wochenkinder, da war das auch ein Thema. Manche haben erzählt, dass ihre Eltern sich entschuldigt hätten, das ist aber die Ausnahme. Bei vielen ist es ein schwieriges Thema, was nicht gerne angesprochen wird. In vielen Familien wird es aber entweder verschwiegen oder man kann nicht darüber sprechen, wie eine Art Tabuthema. Oder es kommt zu lautstarken Streits. Kontaktabbrüche sind auch keine Seltenheit, entweder ausgehend von den Kindern oder von den Eltern, wenn diese sagen, sie wollen nicht mehr. Der Verein soll aber nur für Betroffene da sein, Eltern sind keine Mitglieder. Sie können aber wie Wissenschaftler oder Therapeuten Fördermitglieder werden.
Hanna: Wie ist das mit Geschwistern?
Alexander Teske: Die Frage ist, ob die Geschwister auch in der Wochenkrippe waren. Eine Betroffene, die ich kenne, hat mit ihren Geschwistern keinen Kontakt mehr, weil sie die Wochenkrippe als Einzige kritisiert und aufarbeiten möchte. Mein eigener Bruder findet es gut, dass ich mich mit der Aufarbeitung beschäftige. Man kann das nicht über einen Kamm scheren.
Im Westen gab es ähnliche Einrichtungen, oft für Kinder, die keine Eltern hatten. Als die Bindungstheorie aufkam, hieß es dann, die erste Beziehung eines Kindes ist elementar wichtig, weswegen es so schlecht ist, zum Beispiel in die Wochenkrippe zu gehen. In diesem Alter begreift man noch nicht, dass die Mutter wiederkommt. Kinder entwickeln sich sonst schlechter, werden häufiger krank und lernen später sprechen und laufen. Als man das gemerkt hat, wurden die Einrichtung Ende der 60er in der BRD geschlossen. Die Maßgabe war: Lieber eine schlechte Familie als ein gutes Heim.
Hanna: Was sind Beispiele für Diagnosen, die Betroffene erhalten, oder Therapien, die notwendig sein können?
Alexander Teske: Es gibt sehr viele Diagnosen und einige wiederholen sich, zum Beispiel posttraumatische Belastungsstörungen, unsichere Bindungstypen, Angststörungen aller Art, Depressionen. Wir nehmen auch an, dass die Leute, die den Weg in die Selbsthilfe oder in unseren Verein finden, zwar belastet sind, aber denen es noch relativ gut geht, dass sie dazu in der Lage sind. Es gibt sicher auch viele, die sich ihrer Depression hingegeben haben, ohne die Gründe zu kennen, die Suizid begangen haben, dem Alkoholismus verfallen sind. Das wird man nie wissen können.
Weronika: Mit wie vielen Leute habt ihr durch den Verein Kontakt?
Alexander Teske: Der Verein hat 20 Mitglieder, bei unserem Treffen bei Berlin waren 50 Leute. Selbsthilfegruppen gibt es unter anderem in Schwerin, NRW, Berlin, Potsdam, Dresden und Leipzig. Eine in Halle ist jetzt im Aufbau, sowie ein paar Online-Gruppen. In der Potsdamer Gruppe sind nur 12 Leute, in Leipzig vielleicht 50, die aber unregelmäßig kommen. Ich führe keine Strichliste, aber es ist ein überschaubarer Kreis von vielleicht 300 Leuten.
Hanna: Gibt es irgendwelche Medien, die du für eine Heranführung an das Thema empfehlen würdest?
Alexander Teske: Es gibt nicht viel, was ich empfehlen kann. Das Buch „Wochenkinder in der DDR“ von Heike Liebsch ist ein Sachbuch, das man gut lesen kann. Und das Buch „Die beschädigte Kindheit“ von Florian von Rosenberg soll auch gut sein.
Es gibt eine MDR-Dokumentation, „Die Tränen der Kinder“, die man auch kritisch betrachten kann, aber es ist sehr selten, dass so ein Thema bundesweit in der ARD ausgespielt wird. Das Problem ist, dass das DDR-Fernsehen alle Archivaufnahmen an eine Privatfirma verkauft hat, sodass es sehr teuer ist, diese Aufnahmen auszustrahlen. Es gibt einen Film von Amina Gusner, der ursprünglich ein Theaterstück werden sollte, „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“. Diesen Film kann sie nicht online stellen, weil er 30 Sekunden Archivmaterial enthält und sie das nicht bezahlen kann. Es steht der Aufarbeitung im Weg, wenn Archivmaterial nicht öffentlich gemacht werden kann, das betrifft auch viele andere DDR-bezogene Themen.
Hanna: Wir haben vorhin schon über Politik geredet. Gibt es Erwartungen, die du oder ihr an die Politik habt, also an Ministerien oder an Beauftragte, zum Beispiel an die SED-Opferbeauftragte?
Alexander Teske: Wichtig wäre, dass das Thema in der Therapeutenausbildung bekannt wird. Viele Therapeuten kennen es gar nicht, können also nicht danach fragen. Man sollte den Betroffenen Informationen zur Verfügung stellen, damit sie wissen, welche Therapeuten sich auskennen, an wen sie sich wenden können. Ansonsten wären Gelder für Veranstaltungen, für Forschung oder für künstlerische Auseinandersetzungen wichtig. Es gab eine Ausstellung an der Kunsthalle in Rostock, die sehr gut besucht war und viele Menschen berührt hat. Es gab auch mal ein Theaterstück, „Winterkind“ von Lykke Langer, das aktuell noch in Dresden und Leipzig läuft, und eine Ausstellung in Dresden. Aber das sind alles kleine Privatinitiativen.
Hanna: Wir haben vorhin schon über Politik geredet. Gibt es Erwartungen, die du oder ihr an die Politik habt, also an Ministerien oder an Beauftragte, zum Beispiel an die SED-Opferbeauftragte?
Alexander Teske: Wichtig wäre, dass das Thema in der Therapeutenausbildung bekannt wird. Viele Therapeuten kennen es gar nicht, können also nicht danach fragen. Man sollte den Betroffenen Informationen zur Verfügung stellen, damit sie wissen, welche Therapeuten sich auskennen, an wen sie sich wenden können. Ansonsten wären Gelder für Veranstaltungen, für Forschung oder für künstlerische Auseinandersetzungen wichtig. Es gab eine Ausstellung an der Kunsthalle in Rostock, die sehr gut besucht war und viele Menschen berührt hat. Es gab auch mal ein Theaterstück, „Winterkind“ von Lykke Langer, das aktuell noch in Dresden und Leipzig läuft, und eine Ausstellung in Dresden. Aber das sind alles kleine Privatinitiativen.
Es gibt vereinzelt den Wunsch nach Entschädigung. Vor einer Weile gab es einen Heimkinderfonds, da sind die Wochenkinder nicht berücksichtigt worden. Viele Wochenkinder haben lange sehr gut funktioniert, haben gute Jobs gehabt und Karriere gemacht. Irgendwann sind viele zusammengebrochen, machten plötzlich Therapie und wurden arbeitslos oder berufsunfähig. Viele würden sich zumindest wünschen, dass eine solche Therapie bezahlt wird, weil sie das nicht privat bezahlen können.
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Wochenkrippe Hennigsdorf. |
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