Als Studentin einer Geistes- und einer Sozialwissenschaft kann Spontanität manchmal ziemlich wichtig sein. Vor einigen Wochen bekam ich in einem meiner Seminare das kurzfristige Angebot eines Professors, die Uni zwei Tage lang zu schwänzen und stattdessen am 03. und 04. Mai zu den Medientagen Mitteldeutschland nach Leipzig zu fahren. Es gibt schlimmere Gründe, nicht in die Uni zu gehen, weswegen ich mich relativ schnell für die Teilnahme entschied, unter anderem aufgrund des kostenlosen Mittagessens. (Aus Transparenzgründen: Wir durften die gesamte Veranstaltung kostenfrei besuchen, im Austausch gegen einen redaktionellen Beitrag unserer Wahl. Ich konnte meine anderthalb Beiträge auf diesem Blog hier als "redaktionelle Erfahrung" verkaufen und durfte dann einen Bericht zum Thema Digitale Monopole für die Veranstalter verfassen. Aber zurück zum Thema.)
Als ich dann in der ersten Podiumsdiskussion der Konferenz saß, wurde die Frage debattiert, wie man Medien- und in diesem Zug auch Demokratiekompetenz stärken könne. Verschiedene Vertreter der Landesmedienanstalten aus Bayern, Rheinland-Pfalz oder Berlin-Brandenburg äußerten sich zu Spannungsfeldern und Projekten zur Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung. Geld sei wichtig, aber der direkte Draht zur Bevölkerung eben noch wichtiger, so der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, Dr. Thorsten Schmiege. Mechthild Appelhoff von der Landesanstalt für Medien in NRW sprach an, dass Bildungsprojekte zu Medienkompetenz eben nur die Interessierten erreichten, nicht die Leute, die diese Kompetenz nicht hätten, wollen oder nutzen würden. Ich wartete ein bisschen darauf, dass das Thema Medienkompetenz in den ostdeutschen Bundesländern angesprochen werden würde. Als die Debatte vorbei war und das Wort Ostdeutschland gar nicht erwähnt worden war, hatte ich in Gedanken mein nächstes Eastplaining-Thema festgelegt: Ostdeutschland und die (West)Medien beziehungsweise warum wir uns in der Glaubwürdigkeitsdebatte weiterhin gekonnt im Kreis drehen. Und ja, diese Debatte wird schon seit Jahren geführt. Aber wie unten beschrieben hatte ich bei den Medientagen nicht unbedingt den Eindruck, dass sie im Moment zu irgendeiner wirklichen Veränderung hinführt.
Zur kurzen Einordnung: Ich studiere im Nebenfach Kommunikationswissenschaft, das heißt, "die Medien" sind früher oder später potentielle Arbeitgeber für mich. Ich konsumiere gerne Medien, ich lese sie gerne, bin ein Fan der vielfältigen öffentlich-rechtlich finanzierten Doku-Landschaft auf YouTube und würde "die Medien" gegen alle verteidigen, die ihre Wichtigkeit in einer demokratischen Gesellschaft anzweifeln. Aber diese Demokratiefunktion können "die Medien" eben nur dann erfüllen, wenn die Leser-, Hörer- und Zuschauerschaft ihnen erstens glaubt und sich zweitens mit den Medieninhalten identifizieren kann. Die Frage, ob Journalisten in Deutschland eine Art homogene Masse abbilden, wird seit Jahren diskutiert. Mehrere Studien haben über die Jahre gezeigt, dass das Wahlverhalten von Journalisten eher in Richtung links-grün tendiert (NZZ 2018), wobei der Zusammenhang zwischen politischem Hintergrund der Autoren und fehlender Objektivität in den Medien nicht unbedingt gegeben ist (so Gregor Daschmann von der Uni Mainz, 2020). Bei den Medientagen habe ich festgestellt, dass viele Medienschaffende ihre eigene Bubble durchaus wahrnehmen. Allerdings fehlte mir während der zwei Tage in Leipzig das Bewusstsein dafür, dass viele Journalisten vor allem in den überregionalen Medien eben nicht nur grün-links und Geistes- oder Sozialwissenschaftler sind, sondern eben auch eines: westdeutsch.
Berichterstattung und Kommentare schreiben Geschichten, formen Öffentlichkeit und geben die Leitlinien für Meinungen vor. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und die Herkunft von 40 Sprechenden der Medientage recherchiert, darunter Intendanten, Moderatorinnen und Redakteure. Davon waren sage und schreibe sieben aus Ostdeutschland, die restlichen 33 stammten aus dem Westen. Beeindruckend, nicht wahr? Die Entscheidungstragenden, die Intendanten, die Journalisten; die Leute, die im Endeffekt entscheiden, was geschrieben und wie berichtet wird, kommen nicht aus dem Osten. Durch dieses Ungleichgewicht erscheinen ostdeutsche Perspektiven in den überregionalen Medien zu oft als irrelevante Regionalmeinungen und nicht als bundesweit wichtiges Thema. Und ich muss ehrlich sagen: Ich kann die Position von jedem aus dem
Osten verstehen (verstehen, nicht teilen!), der "die Medien" aus diesem
Grund kritisiert und meidet.
Man sollte keine Debatte über den Zusammenhang zwischen Demokratie und Medien führen, ohne auch über die strukturelle Benachteiligung und die fehlende Partizipation Ostdeutschlands im Bereich Medien zu reden. Doch das ist genau das, was ich bei den Medientagen erlebt habe: Auf der Bühne finden Gesprächsrunden zu Mediennutzung und Glaubwürdigkeit statt, ohne dass eine einzige Person aus dem Osten beteiligt ist. Bei Gesprächen zur Demokratiekompetenz werden große Zahlen in den Raum geworfen: 70 Prozent der Deutschen würden ja den Medien glauben und vertrauen, es kann also nicht so schlimm sein. Dass diese Zahl in den ostdeutschen Bundesländern bei gerade mal 40 Prozent (!) liegt, wird nicht erwähnt (Uni Mainz 2023, Bericht des ZDF). Wie kann das sein? 40 Prozent, das ist eine alarmierende Zahl, das ist eine Zahl, die in alle Debatten über Medien und Demokratie hineingehört. Sich lobend über die 70 Prozent zu äußern, reicht nicht und verzerrt vor allem das Offenkundige: Dass sich nämlich "die Medien" sehr, sehr dringend fragen sollten, wie sie es schaffen, Ostdeutschland wieder zu erreichen. Und das wird nicht durch drei mehr Primetime-ARD-Gesprächsrunden und eine neue ZEIT im Osten-Ausgabe klappen.
Das Ereignis, was für mich am augenöffnendsten war, war die letzte Debatte bei den Medientagen, nachmittags an Tag 2. Anwesend waren Birgit Diezel, die Vorsitzende des MDR-Verwaltungsrates, Prof. Kai Gniffke, der ARD-Vorsitzende, Dr. Norbert Himmler, der ZDF-Intendant, Universitätsprofessorin Annika Sehl und Oliver Schenk, der sächsische Staatsminister für Medien. Es ging um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und um Dinge, die verändert werden müssen, damit diese Zukunft überhaupt eintreten werde. Faszinierenderweise war in dieser Debatte Oliver Schenk der Einzige, der nicht nur die Formfrage, sondern auch die Inhaltsfrage stellte. Er sprach nach einer längeren Diskussion über Reformen an, dass es nicht reichen würde, sich zu fragen, ob ARD und ZDF in Zukunft zusammengelegt werden sollten. Sondern dass man sich eben auch Gedanken darüber machen muss, dass es viele Leute im Osten gibt, die schlicht und ergreifend mit den Inhalten unzufrieden sind, die in den Medien vermittelt werden. Die den Eindruck haben, dass überregionale (Qualitäts-)Medien zu einheitliche Meinungen abbilden. Die in der Berichterstattung nicht mehr ihre eigene Lebensrealität abgebildet sehen (Auch das zeigt die Studie der Uni Mainz). Das sind gerade im Osten nicht wenige, und es sind (aus eigener Erfahrung) bei weitem nicht nur AfD-Wähler und Querdenker. Sie aber gleichzusetzen mit AfD-Wählern und Querdenkern unterstellt zu viel und bringt - mit Verlaub - nichts.
Es ist das gute Recht von Menschen, mit den Inhalten in den Medien und der Art der Berichterstattung unzufrieden zu sein. Wären es nur einige wenige, dann schön und gut, aber es sind eben nicht nur einige wenige. Wenn dies in einer Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber gerade mal am Rand angesprochen wird, suggeriert das wieder mal: dieses Problem ist nicht wirklich relevant. Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass Vertreter bzw. Kenner der Gesellschaft im Osten eine Stimme in den Medien haben: weil
dabei neue Blickwinkel eröffnet und Dinge beleuchtet werden, die
ansonsten unter den Tisch fallen würden; weil ansonsten am Osten "vorbeigeredet" wird. Das ist dabei kein Vorwurf an westdeutsche Journalisten. Es ist ja verständlich, dass man als westdeutsch sozialisierte Person möglicherweise weniger Kontaktpunkte zu dieser Art von Inhaltskritik hat als wenn man ostdeutsch sozialisiert ist.
Es muss also nicht einfach mehr über den Osten berichtet werden. Es muss mehr von Leuten aus dem Osten berichtet werden, und zwar nicht nur über regionale, sondern auch und vor allem über bundesweit relevante Streitthemen: Bundespolitik, EU, Internationales. Zusätzlich sollten sich die überregionalen Qualitätsmedien dringend selbstkritisch mit ihrer eigenen Ostquote auseinandersetzen: Warum kann ich mich durch die ersten 60 Mitarbeiter der FAZ durchklicken und gerade mal zwei Personen finden, die im Osten geboren und aufgewachsen sind? (FAZ 2023, Rhein-Main-Zeitung ausgenommen). Wie viele junge Nachwuchsjournalisten aus dem Osten können sich ein meist mehrmonatiges Praktikum in den Redaktionen einer westdeutschen Großstadt leisten, welches eine Einstiegsmöglichkeit für eine berufliche Laufbahn in diesen Redaktionen bieten könnte? Wo und wie bilden wir, als Medium mit einem "gesamtdeutschen" Selbstverständnis, ostdeutsche Meinungen ab? Das sind die Fragen, von denen ich mir wünschen würde, dass sie redaktionsintern und -extern zum Thema werden, auch und vor allem im Zuge einer reflektierten, selbstkritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Inhalten und dem eigenen Publikum. Ansonsten könnten alle noch so schönen Projekte zur Medien- und Demokratiekompetenz auf Dauer das Ziel verfehlen. So wie es der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke bei den Medientagen sagte: Das Ziel in der ARD-Gruppe sei eine Vielfalt der Meinungen, Haltungen und Lebensentwürfe, ohne Einschränkung der publizistischen Diversität. Liebe überregionale und öffentlich-rechtliche Medien: nehmt euch das zu Herzen und setzt es gerade im Bezug auf Ostdeutschland auch wirklich um. Damit wir diese 40 Prozent im Osten wieder loswerden.
Hanna
P.S. Nein, ich habe diesen Beitrag nicht geschrieben, weil ich mir dadurch selbst bessere Einstellungschancen bei der ZEIT erhoffe. :)
P.S.2. Wenn die ZEIT trotzdem anruft und mir ein Praktikum anbietet, wer wäre ich, da abzulehnen?
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