Brandmauer Richtung Osten?

 Zu Anfang noch mal ein kurzes Shout-Out an die Leute vom N5-Symposium: man kann noch Tickets erwerben, es findet am 17. und 18.11. in Erfurt statt. Weronika wird auch vor Ort sein, ich werde (leider) aufgrund meines momentanen Auslandsaufenthalts nur gedankliche Unterstützung senden können. Tickets gibt's hier, nehmt das auf jeden Fall mit - es wird sicher eine tolle Veranstaltung!

 

Eigentlich hatte ich vorgehabt, zur Abwechslung mal einen schönen Beitrag zu schreiben, und zwar einen über das Kraftklub-Konzert, welches ich letztens in Dresden besuchen durfte sowie aufbauend darauf über ziviles und prominentes Engagement und "Gegenkultur” im Osten. Ich wollte nicht schon wieder über die AfD schreiben, ehrlich, ich hatte andere Pläne. Die wurden aufgrund aktueller Entwicklungen allerdings leider durchkreuzt. Keine Sorge, der Kraftklub-Beitrag kommt noch.

Es geht, natürlich, um das, was in Thüringen passiert ist. Großer bundesdeutscher Schock angesichts der Kooperation von CDU, FDP und AfD, welche Steuererleichterungen gegen die regierende rot-rot-grüne Minderheitsregierung durchsetzen. Daran anschließend müssen wir wieder die Frage nach dem nächsten Jahr stellen, den Landtagswahlen, die in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stattfinden werden, und der Perspektive einer AfD-Regierungsbeteiligung in einem oder mehreren dieser Bundesländer. Von der Rest-Politik kam in den Tagen nach dem “Eklat” in Thüringen die mittlerweile nach Tonbandaufnahmen klingenden Reaktionen: Schock, Besorgnis, Empörung, Wut. Man sieht sich hilflos einer Entwicklung hin zum Rechtspopulismus gegenüberstehen und weiß nicht, was man dagegen tun kann. Es wird sich darüber echauffiert, dass der AfD bis jetzt und weiterhin so ein breiter öffentlicher und medialer Raum zugestanden wurde, ohne daran zu denken, dass diese Debatte dadurch hinfällig wird, dass sich die AfD - wie jetzt in Thüringen - diesen Raum mittlerweile ganz einfach selbst schaffen kann. Es wird überlegt, wie man diese Entwicklung umdrehen kann, wie man wieder hin kommt zu einer AfD-freien Gesellschaft.

Für mich, und da bin ich ganz ehrlich, sind diese Debatten absurd. Denn es offenbart sich in ihnen das Kernproblem der momentanen politischen Situation: dass nämlich Politiker*innen vergessen haben, wie man Menschen mit Inhalten überzeugt und nicht mit Ideen. Es sollte für euch, liebe Menschen in der Politik, nicht primär darum gehen, euch gegenseitig die Schuld zuzuschieben am Erstarken der AfD im Osten (und im übrigen auch bundesweit). Stattdessen solltet ihr euch zusammensetzen und einen Plan entwerfen, was ihr tun könnt, damit die AfD-Wählerschaft keinen Grund mehr suchen muss, die AfD zu wählen. Und ich glaube nicht, dass wir auf irgendeine Weise weiterkommen, wenn wir darauf mit der Standardantwort kontern: "Die wählen nur die AfD, weil sie alle Nazis sind."

Der Staatsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz sagte vor Kurzem in einem Interview der FAZ folgendes:

“Es ist ja nicht so, dass diese Leute, weil sie am Wahltag die AfD wählen können, den Rest der Zeit weniger aggressiv wären.” (https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-staatsrechtler-ferdinand-gaerditz-fordert-ein-verbot-der-partei-19159877.html, aufgrund der Paywall zitiert über die Seite Volksverpetzer bei Instagram). Die Frage, ob ein Verbot der AfD weiter zu einer Radikalisierung ihrer Wählerschaft beitragen könnte, sei also hinfällig, da die Radikalisierung so oder so stattfinden würde, weswegen man durchaus über ein Verbot nachdenken könne. Das kommt mir leider absolut zu kurz gedacht vor, so als würde man sagen: “Ihr seid ja eh schon radikalisiert, deswegen können wir eure Protestpartei durchaus verbieten. Macht ja keinen Unterschied.” Aber ist nicht eigentlich das der Ansatzpunkt, um den es gehen sollte? Ist nicht der AfD-Wahlerfolg im Osten in erster Linie ein Symptom zunehmender Radikalisierungstendenzen und sollte Politik aktuell nicht genau da inhaltlich ansetzen, um Leute zurückzugewinnen, statt über ein AfD-Verbot nachzudenken? So gerne ich in einem AfD-freien Land leben würde: die Menschen, die sie jetzt wählen, werden nicht einfach dadurch verschwinden, dass man die Partei verbietet. Auch wenn sich West-Intellektuelle das gerne so vorstellen. Die Unzufriedenheit wird bleiben, und bevor ich es riskiere, dass die Menschen aus Wut über das Verbot spaßeshalber zur NPD wechseln, würde ich doch lieber ehrliche und ernst gemeinte Versuche starten, die Leute zurückzuholen.

Viele, viele Leute im Osten, und zwar auch erklärte Nicht-AfD-Wähler, haben das Gefühl, dass Berlin sie aus dem Elfenbeinturm heraus regiert. Die Politik muss aufhören, als einzigen Lösungsweg dafür ein AfD-Bashing zu betreiben (so rechtfertigt es durchaus sein mag), und stattdessen anfangen, Alternativen zur Alternative anzubieten, die die Menschen im Osten auch erreichen. In Thüringen beteiligte sich die AfD nicht mit einem kontroversen, polarisierenden, typisch rechtspopulistischen Thema an Politik, sondern mit etwas so banal Scheinendem wie einer Steuererleichterung für den Grunderwerb. Warum schafft die AfD es also, dort eine ja offensichtlich leere Nische zu besetzen und wo ist die Partei, die sie aus dieser Nische verdrängen kann? Solange die Regierungsparteien (und im Übrigen auch die anderen Oppositionsparteien) der AfD bestimmte Lücken lassen, und zwar durch ihre eigene Inaktivität, fehlende Zusammenarbeit und Abwesenheit bei bestimmten Themen, werden sich die Leute, denen diese Themen wichtig sind, der AfD zuwenden.

Ein Beispiel: Ein wochenlang Sorgen verursachendes Thema bei mir zu Hause ist momentan die ärztliche Versorgung. Meine Familie fand keine neue Hausärztin, nachdem die vorherige ihre Praxis aufgab. Davon waren vielleicht mehrere hundert Leute in der Region (speziell in den Dörfern) betroffen, es war ein Thema, welches die gesamte Gemeinschaft beschäftigte. Und das merken die Leute, die im Osten und in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, eben schnell: wann ein System kippt. Und das System bei mir zu Hause steht kurz davor. Was sehen diese Leute allerdings gleichzeitig im Fernsehen? Den Gesundheitsminister, wie er sich mit der Cannabis-Legalisierung befasst, während Krankenkassen wichtige Leistungen nicht mehr bezahlen und Rentner in ländlichen Gegenden auf Tour gehen müssen, um eine neue Ärztin zu finden, die ihnen essentielle Medikamente verschreibt. Viele Leute haben das Gefühl, dass an ihnen vorbei regiert wird - und wollen ihre Probleme eben anderswo gelöst haben.

Die Menschen im Osten und damit auch die Kommunen, die Städte und Sozialsysteme im Osten sind nun einmal im Durchschnitt signifikant ärmer als westdeutsche Gemeinden. Das heißt auch, dass weniger Geld da ist für Gesundheitssysteme, Bildung, Jugendarbeit, den öffentlichen Nahverkehr, sozialer Arbeit oder die Versorgung von Flüchtlingen. Das ist mein bestes Beispiel dafür, wie die "etablierten" Parteien im Osten versagt haben: In Kombination mit Grenznähe und ohnehin verstärkter Schleusertätigkeit gehen vielen ostdeutschen Gemeinden momentan langsam aber sicher alle Ressourcen für genau diese Versorgung aus, sodass Unterstützung, die wirklich ankommt, dringend notwendig ist. Aber politisch gesehen fand man eben in ostdeutschen Grenz-Kommunen zu diesem Thema sehr lange oft nur die Wutparolen auf AfD-Wahlplakaten, obwohl es eines von vielen gesellschaftlichen Bereichen ist, für die Lösungen gefordert sind, praktische, umsetzbare, bürokratiearme Lösungen. Dafür gibt es eigentlich so etwas wie Politiker*innen, deren Job es sein sollte, ihre Communities zu formen und zu gestalten.

Die Nicht-AfD-Parteien müssen wieder dafür sorgen, dass man sie wegen etwas und nicht nur gegen etwas anderes wählt, ganz besonders im Osten, wo ihre traditionelle Wählerschaft im Moment einfach geschwächt ist. Vor allem müssen sie aufhören mit dem Versuch, nur ihr “klassisches” Klientel zu bedienen und stattdessen den Versuch starten, Lösungen für alle zu finden, und zwar auch für die Leute im Osten und auch (und ganz besonders) für die Leute, die jetzt AfD wählen. Natürlich spielt da auch mit hinein, dass in den polemischen Zeitungen und Medien dieses Landes vor allem die Misserfolge der Ampel rauf- und runterbesprochen werden und viele Erfolge wegignoriert werden. Aber: trotz dieses Aspekts brauchen wir die Rückkehr zu tatsächlich politischen Inhalten, weg von der ewigen Wir-Die-Diskussion. Die Gesellschaft kann und darf der AfD bestimmte Themen nicht überlassen, weil sie sich selbst (vielleicht auch aus Angst vor Kontroverse) nicht herantrauen. Annika Brockschmidt schreibt dazu: "Damit man nachts besser schlafen kann, werden Strohmann-Argumente bedient wie „Aber was, wenn eine Kita nur mit Stimmen der AfD gebaut werden kann?“" So sehr ich Frau Brockschmidts Arbeit schätze, hier muss ich kontern: In so vielen ostdeutschen Gemeinden sind das eben keine Strohmann-Argumente mehr, sondern Fragen, mit denen sich Lokalpolitiker*innen täglich auseinandersetzen müssen. Auf dem Kommunalniveau und ja, vor allem im Osten, ist es schon längst Normalität geworden, dass die AfD eben mitstimmt, weil sonst eben überhaupt keine Politik mehr gemacht werden würde.

Deswegen: Versucht, die Leute mit tatsächlichen Argumenten abzuholen, nicht mit leeren Floskeln wie “Wer AfD wählt, ist …”. Auch wenn diese in manchen Fällen zutreffen mögen, sind sie mittlerweile so verbraucht, dass sich davon niemand mehr zum Umdenken bewegen lassen wird, obwohl das doch eigentlich das Ziel ist: dass wir unsere Probleme angehen, während der blaue Balken im Osten (und im Übrigen auch anderswo) wieder sinkt. Bitte, bitte, liebe deutsche Politik: Ihr solltet das über parteipolitische Strategien und Kalkül nicht aus den Augen verlieren. Menschen haben ein Recht, von euch Lösungen zu fordern für Dinge, die sie und ihre Gemeinschaften in ihrem alltäglichen Leben vor Schwierigkeiten stellen. Lasst die AfD und ihre Vertreter selbst meinetwegen links liegen, aber kümmert euch um die Leute, die sie sonst weiter wählen werden.

Ich kann die fassungslosen Reaktionen von oft westdeutschen Politikerinnen oder Journalistinnen auf die AfD-Erfolge im Osten nicht mehr hören. Es wird voller Schock zugesehen, man distanziert sich selbst und freut sich insgeheim, dass es zu Hause nicht so ist. Es fehlt ein Bewusstsein dafür, dass man auch etwas tun kann gegen die Radikalisierung, indem man wieder mit Inhalten arbeitet, die Menschen nach ihren täglichen Alltagsproblemen fragt; und ja, vielleicht heißt das auch, dass man mal spezifisch auf die Probleme im Osten schaut und sie anpackt. Aber: alle Probleme, die es im Osten gibt, gibt es im Westen auch, nur vielleicht weniger stark ausgeprägt. Natürlich sorgt die schwächere Infrastruktur im Osten dafür, dass alle gesellschaftlichen Systeme schneller an ihre Grenzen kommen werden. Doch das, was die AfD im Osten gerade erlebt, wird mit der Zeit genauso auch im Westen passieren. Und auch die Reaktionen auf die Niederlage des AfD-Bürgermeisterkandidaten in Nordhausen fand ich teilweise einfach nur heuchlerisch. Denn es zeigt, dass man sich eben nur für den Osten interessiert, wenn man sich entweder pseudo-besorgt über die AfD-Ergebnisse entsetzt oder ihn als "leuchtendes Beispiel im Kampf gegen Rechtspopulismus" instrumentalisieren kann. Weder die eine noch die andere Darstellung wird die Situation im Osten langfristig und nachhaltig verändern, denn eine Sache bleibt gleich: statt mit- wird über Ostdeutschland geredet.

Ich will, dass für die Probleme im Osten und in ganz Deutschland Lösungen gefunden werden, die ohne eine Beteiligung von rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien auskommen. Dafür müssen sich aber auch die aktuellen Regierungsparteien an die eigene Nase fassen und proaktiv vorgehen, wieder hin zu einer Demokratie, in der es primär um diese drei Fragen geht: Was haben wir aktuell für Probleme? Was können wir tun, um diese zu lösen? Und welcher Vorschlag ist der beste?

Und das möglichst, bevor den Leuten die Ärzte vor der Nase wegsterben und die Schulen nur noch bis zur dritten Stunde aufmachen.

 

Hanna

 

 

P.S.: Ganz, ganz große Hör-Empfehlung zum Thema Thüringen: Der FAZ-Podcast für Deutschland hat eine wirklich umfassende, nicht moralisierende, sondern eben bemüht differenzierte halbstündige Podcastfolge zu den Ereignissen in Thüringen veröffentlicht (https://www.faz.net/podcasts/f-a-z-podcast-fuer-deutschland/brandmauer-eingerissen-moralische-abscheu-hilft-nur-der-afd-19178106.html). Das zeigt für mich, dass eben auch bei sehr schwierigen Themen die Möglichkeit besteht, eine ergiebige und unemotionale Debatte zu führen.

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