Warum ich mich mit Kirchengeschichte der DDR befasse

Schon zu Schulzeiten zählte Geschichte nach anfänglichen Startschwierigkeiten (Steinzeit???) zu meinen Lieblingsfächern. In der 10. Klasse verfasste ich im zarten Alter von 15 Jahren eine viel zu lange Jahresarbeit zum Thema "Deutsch-polnische Verhältnisse seit 1939 und ihre Auswirkungen auf die Menschen". Dann belegte ich in der Oberstufe mit sehr viel Enthusiasmus den Geschichtsleistungskurs. Und dann habe ich trotzdem nicht Geschichte studiert, sondern erst Theologie und Mathematik, und nun im Master Theologie und Wirtschaft. Rückblickend frage ich mich manchmal, ob ich nicht doch einfach hätte Geschichte studieren wollen, aber ich meinte damals wohl, mich genug auf eine Sache fokussiert zu haben und dass es Zeit sei, mal was anderes zu machen. Bald bemerkte ich jedoch, dass Geschichte in jedem meiner Fächer eine wichtige Rolle spielte: in der Theologie ohnehin, und auch in der Mathematik lernte ich am Anfang des Studiums etwas zu den Ursprüngen verschiedener Formeln und Konzepte. Besonders die Kirchengeschichte, speziell die mittlere und neuere, hatte es mir jedoch von Beginn an angetan: dort hatte ich nie Schwierigkeiten mit der Lernerei oder irgendwelchen Prüfungen, weil mich das einfach so sehr interessierte. Nach und nach spezifizierte sich dieses Interesse auf die DDR. Warum ich mein Interesse für wichtig halte - nicht nur für mein eigenes, gern beschäftigtes Gehirn, sondern auch für die Gesellschaft an sich - darum soll es im heutigen Beitrag gehen. 

Geschichte ist wichtig, ganz banal gesagt. Und zwar deshalb, weil wir daraus lernen können. Auch banal. Aber hinter diesen Banalitäten verbergen sich tiefgreifende Wahrheiten: Menschheitsgeschichte folgt gewissen Mustern, Akteur:innen verfolgen bestimmte Ziele, wir leben in einer historisch begründeten Gesellschaft, und oftmals ist es so, dass wir die aktuellen Verhältnisse und Geschehnisse mit solchen zeitlich gewachsenen gut erklären können. Wie wir so oft auf diesem Blog betonen: Verstehen und lernen kann nur, wer sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt. Wir werden dann verstehen, warum bestimmte Menschen sich so und so benehmen, wenn wir herausarbeiten, was ihnen in der Vergangenheit widerfahren ist. Das gilt keinesfalls als Rechtfertigung für ihr gegenwärtiges Verhalten, kann aber als guter Ansatzpunkt für lösungsorientierte Handlungen dienen. Leider ist es aber so, dass bestimmte Bereiche der Geschichtswissenschaft beinahe überforscht werden, während andere chronisch in Vergessenheit geraten und von der Öffentlichkeit kaum beachtet werden. Außerdem kommt logischerweise hinzu, dass näher zurückliegende Vergangenheit weniger gut erforscht ist als jene, die weiter zurückliegt. Was die DDR-Vergangenheit betrifft, so wurde dort schon viel gearbeitet, und trotzdem existieren noch zahlreiche Lücken, so zahlreich, dass es sehr viele Wissenschaftler:innen brauchen wird, um diese wenigstens ansatzweise zu schließen. Ich habe aus mehreren Gründen damit angefangen, mich dafür zu interessieren.     
Zum Einen - wie wir immer wieder betonen - spüre auch ich die Nachwirkungen der deutschen Teilung und der deutschen Einheit, obwohl ich über ein Jahrzehnt danach geboren wurde. Ich möchte mehr darüber wissen, um zu verstehen, warum es jetzt so ist, wie es eben ist. Zum Anderen - und da erfolgt meine Spezifizierung auf die Kirchengeschichte: mein Vater und noch mehr meine Großeltern haben einen gewaltigen Teil ihrer Lebenszeit in der DDR verbracht und waren (und sind) in der katholischen Kirche aktiv. Das hatte Repressalien zur Folge, die ich in einem späteren Beitrag sicherlich genauer thematisieren werde, nur so viel: Kirche in einem sozialistischen Staat stand teilweise ganz anderen Herausforderungen gegenüber als Kirche im Kapitalismus. Wenn sie von dieser Zeit berichteten, empfand ich das immer als spannend und weitere Fragen aufwerfend. Zum Dritten - mich fasziniert alles, was bisher noch gar nicht erforscht wurde. Nichts bereitet mir mehr Freude, als in Akten zu stöbern, von denen ich genau weiß, dass kaum jemand (wenn überhaupt!) sie vor mir aus historischer Perspektive gelesen hat, weil ich sie selbst foliieren muss. Deshalb habe ich 2023 meine Bachelorarbeit zu einem Thema geschrieben, das vorher niemand erarbeitet hatte: "Horizonterweiterung durch Gastvorlesungen. Gäste im Philosophisch-Theologischen Studium Erfurt 1954-1990". Dabei habe ich all jene Gastvortragenden unter die Lupe genommen, die während der DDR-Zeit aus verschiedenen Ländern - allermeist der BRD, aber auch aus Österreich, Italien, der Schweiz, Polen und sogar den USA - nach Erfurt reisten, um an der einzigen katholischen Priesterausbildungsstätte Vorträge vor den Theologiestudenten und -professoren zu halten. Es gab sehr interessante Manöver zur Verschleierung des eigentlichen Einreisegrundes und überhaupt fand ich es grandios, die Briefe und Protokolle aus der damaligen Zeit zu lesen und mir selbst ein Bild von der Situation zu machen. Im Oktober letzten Jahres hatte ich auch die Gelegenheit, meine Arbeit bei der Katholischen Akademie Berlin im Rahmen eines Vortrags vorzustellen, den man inzwischen auf YouTube einsehen kann (was ich selbst nicht gemacht habe, da ich meine eigene Stimme nur schwer ertragen kann und die Vorstellung, mich dabei auch noch selbst zu sehen, gleich gar nicht. Aber schaut es euch gerne an. Angeblich lache ich zu viel.)  Das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt als einziger Ort der katholischen Priesterausbildung ist ohnehin bis auf ein Buch von Josef Pilvousek, ehemaliger Professor für Kirchengeschichte in Erfurt, noch nicht grundlegend erforscht.     
Inzwischen arbeite ich als wissenschaftliche Assistentin an der Professur für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit und verbringe viel Zeit in der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte, die hier in Erfurt angesiedelt ist und von den katholischen Bistümern des Ostens mitfinanziert wird. Deshalb habe ich das große Glück, sehr viele Akten lesen zu dürfen. Gerade forsche ich gemeinsam mit Marlen Bunzel, Gastprofessorin für Altes Testament in Berlin, für eine Publikation über die katholischen Theologinnen der DDR, die zwischen 1962 und 1991 in Erfurt Theologie studiert haben. (Ja, Frauen! Ich war auch überrascht.) Am sogenannten "Edith-Stein-Seminar", das nur mit Namen existierte, um die Ausbildung der Priesterseminaristen nicht zu gefährden - denn die Hochschule hatte keine staatliche Anerkennung und galt als rein kirchliche Priesterausbildungsstätte, weshalb Frauen nicht offiziell immatrikuliert sein durften - studierten sie teilweise "Stücke", teilweise die "ganze" Theologie. Ich recherchiere viel zu den Hintergründen, und gemeinsam sprechen wir mit den Frauen, die zum Großteil noch am Leben sind. Mehr dazu in unserem Buch, das erscheint, wenn es dann mal fertig wird. Doch schon jetzt merke ich, wie interessant diese Zusammenhänge sind und wie wenig sie bisher beachtet wurden. Im März nehmen wir in Leipzig an der "Expert:innentagung: Frauenbilder und -rollen in Kirche und Gesellschaft der DDR", organisiert von der Theologischen Fakultät Leipzig, teil.    

Wenn mich Leute demnächst also wieder fragen werden, warum ich meine Zeit in diesen DDR-Kirchenkram investiere, kann ich sie galant auf diesen Blogpost verweisen und betonen: weil ich es für wichtig und interessant halte und mit meinen momentan absolut winzigen Aspekten einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten möchte. Und ich möchte auf alle Fälle damit weitermachen. Die Kirchen verlieren aktuell in Deutschland massiv an Bedeutung, aber es gab Zeiten, in denen sie eine wichtige Rolle gespielt haben, so in der Mitgestaltung der Wende. (Auch dazu irgendwann ein gesonderter Beitrag...) Kirche im Sozialismus ist und bleibt ein spannendes Thema, an dem aktuell viele engagierte Menschen forschen und an dem noch viel getan werden muss - gerade auch in der kritischen Aufarbeitung, denn vieles wird vielleicht rückblickend idealisiert. So. Mein Ziel war es, kurz darzulegen, warum ich mich mit der Kirchengeschichte der DDR befasse und warum ich das Thema für wichtig halte. Hoffentlich ohne zu viel Selbstbeweihräucherung (wobei ich dafür viel zu irrelevant bin...noch). 

Meine Botschaft bleibt: Interessiert euch für die Geschichte eurer Familie und eures Landes und eurer Welt, denn aus ihr heraus werdet ihr verstehen, warum manches heute so ist, wie es ist. 

Weronika 


Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur





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