Spuk unterm Riesenrad

Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, entdeckte mein Vater die DVD-Fassung einer Serie im Görlitzer Media-Expert. (Dieser Media-Expert ist für den weiteren Teil dieses Beitrags nicht relevant, aber ich wollte ihn erwähnen, weil ich dort famose Momente meiner Kindheit damit verbracht habe, mich durch DVDs und CDs zu wühlen bzw. damals hochmoderne Touchhandys auszuprobieren). Mein Vater war sogleich begeistert und kaufte die DVD, um sie mit uns Kindern zeitnah zu schauen. Er verband damit selbst zahlreiche Kindheitserinnerungen, denn die Serie stammte noch aus der DDR-Zeit, genauer gesagt, aus dem Jahr 1979. Damals lief sie erst im Fernsehen, später auch im Kino - auch in der BRD. 

Um diese Serie soll es im heutigen Blogbeitrag gehen. Es handelt sich natürlich um "Spuk unterm Riesenrad"! In sieben Folgen wird die Geschichte der drei Kinder Umbo, Tammi und Keks (wir hinterfragen die Namen mal nicht) erzählt, die bei ihren Großeltern während der Sommerferien in deren Geisterbahn auf einem Ostberliner Kulturpark aushelfen. Die Geisterbahn befindet sich in der Nähe - unterhalb - des Riesenrads. (Falls jemandem der Name sonst unklar sein sollte). Die Kinder sind wenig begeistert von ihrer Ferienbeschäftigung, und als Keks zum Mittagessen verbrannten Grießbrei kocht und zu ihren Brüdern in die Geisterbahn bringt - die dort saubermachen sollen - beginnen sie stattdessen, mit dem Brei um sich zu werfen, wie man es nun einmal tut. Dabei landet auch so Einiges auf dreien der Märchenfiguren der Geisterbahn: auf dem Riesen, der Hexe und dem Rumpelstilzchen. Der hinzukommende Großvater bemerkt das, wird ziemlich sauer und verlangt die sofortige Reinigung dieser Gestalten. Die Kinder kommen auf die gigantische Idee, die Figuren in der Spree zu waschen - und dann kommt es: Als sie den Riesen, die Hexe und das Rumpelstilzchen ins Wasser werfen, werden die Figuren lebendig und schwimmen einfach davon. Was folgt, ist eine aufregende Verfolgungsjagd, erst quer durchs Ostberlin der späten 1970er Jahre, dann bis in den Harz. Der Großvater möchte seine Märchenfiguren für die Geisterbahn zurück, die nun geschlossen hat, die Volkspolizei ist sehr verwirrt, und die Kinder sind scheinbar die Einzigen, die die drei Geister wieder einfangen können.

Ich liebe diese Serie wirklich total, denn auch für mich ist es ein großes Stück Kindheit - sobald die Titelmelodie einsetzt, fühle ich mich nostalgisch. Deshalb möchte ich auf "Spuk unterm Riesenrad" aufmerksam machen: Ich halte es für eine schöne DDR-Kinderserie, die mehr Aufmerksamkeit verdient. Gerade auch, weil dieses Jahr im Februar eine Neuverfilmung erschienen ist, mit der die kommenden Generationen nun primär aufwachsen werden. Ich gebe zu, dass ich die neue Version noch nicht geschaut habe - bisher ist sie nur auf DVD verfügbar, und a) sehe ich es nicht ein, dafür Geld auszugeben, b) besitze ich kein Gerät, mit dem ich DVDs noch abspielen könnte. Die Kritiken solcher Leute, die mit der alten Version vertraut sind, fielen jedoch ziemlich vernichtend aus. Nun. Wenn ich das mal schaue, folgt vielleicht ein zweiter Beitrag... aber erst einmal: Was macht diese Serie für mich so besonders? 
Neben der hineinspielenden Nostalgie finde ich es einfach schön, eine andere Seite des DDR-Lebens in dieser Serie zu erkennen. Sie ist auf den ersten Blick erfrischend unpolitisch und unideologisch, erzählt einfach ein modernes Märchen - und ist dabei sehr unterhaltsam und lustig. Gerade das schätzte auch die damalige Generation daran: Hier ging es nicht um irgendwelche sozialistischen Konzepte, mit denen man in anderen Kinder- und Jugendserien ständig unfreiwillig konfrontiert wurde, sondern einfach mal um das "normale" Leben. Mit dem Sommer in der DDR verbindet meine Familie noch die freundlichsten Erinnerungen an die vergangene Diktatur, und etwas von diesem Sommerferiengefühl, der Leichtigkeit und Wärme wird auch in dieser Serie transportiert. So konnte das Leben in der DDR manchmal auch sein. Es ist auch wirklich eine gut erzählte, spannungsreiche Geschichte - das lässt sich nicht leugnen!


Und natürlich existieren darin trotzdem Elemente, die mir erst in den letzten Jahren verstärkt aufgefallen sind, als ich die Serie etwas kritischer schaute. Einige davon möchte ich hier exemplarisch nennen. Dem Staat ging es natürlich auch darum, sich selbst und seine Gesellschaft offen und nett zu präsentieren, und so, als gäbe es in der DDR keine gravierenden Probleme. So wird zum Beispiel die Volkspolizei sehr positiv dargestellt: Nicht nur glauben sie den Kindern die doch absurde Geschichte relativ schnell, nein, Umbo, Tammi und Keks werden sogar in die Ermittlungen einbezogen, dürfen im Kaufhaus verdeckt ermitteln und fliegen mit dem Hubschrauber in den Harz, als die Märchengestalten dorthin fliehen. Die Polizist*innen sind zuvorkommend und freundlich - so ganz dürfte das wohl nicht der Realität der Volkspolizei entsprechen. Völlig ohne Staatsideologie kommt die Serie auch nicht weg, Keks gibt ihrer Oma das "große Pionierehrenwort" darauf, dass die Märchengestalten wirklich weggeschwommen sind, und an anderer Stelle betonen Umbo und Tammi die Wichtigkeit vom Altglassammeln, nun gut. Richtig unrealistisch wird es aber in Bezug auf das Kaufhaus, in dem eine Folge spielt. Dort herrscht eine überdimensionale Fülle an Waren, alles kann gekauft werden - na klar doch... Im Bezug auf die Wursttheke und eine Szene, in welcher der Riese die geklaute Wurst auf einer Treppe fallen lässt, gab es sogar eine Kontroverse - sie sollte zunächst nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden, weil die DDR-Bevölkerung zu dieser Zeit einen Versorgungsengpass von Wurst- und Fleischwaren erlebte. In einer anderen Szene laufen die drei Märchenfiguren an einem Obstgeschäft vorbei und klauen Bananen, die vor dem Fenster ausliegen. Spätestens dort wird es sehr unrealistisch: Bananen waren ja wohl noch seltener als zaubernde Hexen. Ansonsten wird natürlich die wunderschöne Landschaft im Harz gezeigt, alles sehr harmonisch, keine Probleme in Sicht. 

Es ist eben trotz jeder Nostalgie eine Serie ihrer Zeit, in der die DDR positiv dargestellt werden soll. Das sollte man beim Schauen im Hinterkopf behalten - und kann sich trotzdem an der amüsanten Geschichte und den teilweise wilden Kameraeinstellungen erfreuen. Ich finde die Serie wie gesagt sehr schön. Es lässt sich sicherlich darüber streiten, inwiefern man solche "Heile Welt"-Sachen schauen kann, die in einer Diktatur produziert wurden, aber wie ich schon mehrmals auf dem Blog geschrieben habe - für mich hat das viel mit dieser Ambivalenz zu tun. Ich kann Literatur, Film und Kultur aus der DDR gut finden und gleichzeitig das System verurteilen, in dem diese entstanden sind. Ich kann mich gleichzeitig für den Osten einsetzen und den Rechtsruck verurteilen. Außerdem finde ich, dass man gerade aus solchen Serien und Filmen viel über das Alltagsleben in der DDR lernen kann - und sieht, dass auch die DDR bunt sein konnte, wenngleich nicht so bunt wie dargestellt (nochmals: Bananen im Schaufenster??). Auch dort haben Menschen ihr Leben gelebt und versucht, das Beste daraus zu machen. Immer nur alte BRD-Klassiker zu schauen, die - ohne jetzt den Whataboutism bedienen zu wollen - teilweise noch viel problematischer sind, kann ja auch nicht die Lösung sein. Und diese Leute, die das in ihrer Kindheit geschaut haben, verbinden auch heute noch angenehme Erinnerungen damit. Das ist ihr gutes Recht. 
Meiner Meinung nach sollten sich mehr Leute mit Medien aus der DDR befassen. Ich sage nicht: Es war nicht alles schlecht. Ich sage nicht: Es gab auch schöne Dinge. Ich sage: Setzt euch mal kritisch damit auseinander und schaut, was ihr daraus mitnehmen könnt. 

Weronika

P.S.: Auf YouTube YouTube und auf Amazon Prime kann man die Serie übrigens kaufen oder leihen. Oder - für Leute mit DVD-Laufwerken - DVDs gibt es auch noch. 

P. P. S.: Die Wikipedia-Seite Wikipedia-Seite zur Serie ist auch sehr interessant. 

Kommentare

  1. +1 für eine kritische aber eben auch eine weiterhin stattfindende Rezeption der DDR-Film-/Fernseh-/Medienlandschaft
    Ich schaue gerade die Filme von Thomas Heise (diese Woche leider verstorben) in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung, die natürlich ein sehr kritisches Bild der untergehenden DDR zeichnen.

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    1. Danke für den Kommentar! Da muss ich auch mal reinschauen.

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