Die Erziehung von Kindern im Alter von 0-6 Jahren in der DDR und pädagogische Schlussfolgerungen für die heutige Zeit. Von Jakob Vogel

Mein Bruder Jakob absolviert seit 2022 eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher an der Mannheimer Akademie für Soziale Berufe. Im April diesen Jahres reichte er seine Facharbeit zum Thema "Die Erziehung von Kindern im Alter von 0-6 Jahren in der DDR und pädagogische Schlussfolgerungen für die heutige Zeit" dort ein. Das war an einer westdeutschen Ausbildungsstätte durchaus etwas Besonderes. Aber gerade dort zeigt sich Bedeutung von solchen Arbeiten. Geschichtsschreibung muss umfassend erfolgen, wenn wir einige Aspekte auslassen, ist sie noch unvollständiger als ohnehin schon. Und ich möchte jene honorieren, die sich mit DDR-Geschichte befassen, weil ich es für wichtig und in vielen Kontexten für bewundernswert halte.
Und so übergebe ich in diesem Beitrag meinem Bruder das Wort. Ich wünsche ein erkenntnisreiches Lesen! 

Weronika

1. Einleitung

Während zahlreiche Berichte und Beiträge über die DDR diese entweder unreflektiert kritisieren oder auf der anderen Seite glorifizieren, ist es für viele Menschen Normalität, dieses Thema zu verdrängen. Dies lässt sich als allgemeines Unwissen über die DDR festhalten. In Schulen werden nur wenige Inhalte vermittelt, welche meist uneingeordnet und verkürzt zum Tragen kommen. Die DDR war jedoch deutlich mehr als SED, Mauer und Bananenknappheit. Über das kulturelle Leben und alltägliche Aspekte ist besonders im westlichen Teil des Landes kaum etwas bekannt. Um diese verwunderliche Distanz zu verringern, habe ich mich dazu entschieden, meine Facharbeit zum Thema „Die Erziehung von Kindern im Alter von 0-6 Jahren in der DDR und pädagogische Schlussfolgerungen für die heutige Zeit‟ zu schreiben und somit einen Rückblick und eine Einordnung der Aufarbeitung darzustellen. Diese fand nämlich noch nie in der nötigen Intensität und Quantität statt, obwohl sie spannende und kontroverse Aspekte beinhaltet. Was sind die Gründe dafür? Auch diese Frage wird mich im Laufe dieser Facharbeit beschäftigen.       
Geschichte hat für die Menschen immer eine Relevanz, ob gewollt oder ungewollt. Sich mit dieser auseinanderzusetzen, um aus ihr zu lernen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, die leider zu wenig gesellschaftliche Beachtung erfährt.
Um eine realistische Einordnung zu vollziehen, werde ich in der Facharbeit Parallelen zu gleichen Themen in der BRD herbeiführen und schlussendlich die gewonnenen Erkenntnisse auf die heutige Zeit beziehen. Zunächst werde ich einen Überblick über die allgemeine Geschichte der DDR verschaffen, da dies eine essenzielle Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit der Pädagogik ist. Nachdem ich die Theorien der Idealbilder der beiden Systeme gegenüberstelle, setze ich mich intensiver mit der pädagogischen Praxis in der gewählten Altersgruppe auseinander. Um den status quo nachvollziehbar zu präsentieren, werde ich auch die Entwicklung nach dem Anschluss der DDR an die BRD thematisieren. Besonders interessant für die Arbeit der Erzieher*innen heute werden die gewonnen Schlussfolgerungen sein.

Es ist mir ein großes Anliegen als ostdeutsch sozialisierte Person, dass ich in dieser Facharbeit historisch korrekt die Geschichte meiner Heimat bezüglich meiner künftigen Profession erarbeiten, präsentieren und daraus lernen kann. Da oftmals nur einzelne, sehr negative Aspekte aus diesem Themenbereich angesprochen werden, habe ich mir die Frage gestellt, welche Auswirkungen der allgemeine Erziehungsstil in der DDR auf die Kinder hatte und welche pädagogischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Dieser Frage möchte ich mich widmen, sodass ich am Ende dieser Arbeit eine Antwort darauf geben kann.

2.2. Das Idealbild von Pädagogik in der DDR

Schon vor der Gründung der DDR war es den Alliierten ein besonders wichtiges Anliegen, dass die nationalsozialistische Erziehung überwunden und zur Umerziehung umstrukturiert wurde, damit eine nachhaltige Veränderung des deutschen Volkes möglich war.10 In der sowjetisch besetzten Zone wurde 1946 folgende Richtlinie als Ziel des Kindergartens manifestiert:

„Hauptaufgabe des Kindergartens ist die Erziehung von Kindern nach demokratischen Prinzipien, frei von allen faschistischen, rassischen, militaristischen und anderen reaktionären Ideen und Tendenzen.‟11

Kindergärten wurden in das Bildungswesen aufgenommen, sowie als Vorstufe der Einheitsschulen betrachtet und unterstanden dem Ministerium für Volksbildung. Nun hatten Kindergärten auch „die Aufgabe, die Kinder zur Schulreife zu führen‟.12 Einhergehend mit dieser Aufgabe wurde erwartet, dass der Kindergarten zum Aufbau des Sozialismus durch dessen Politisierung beiträgt, da diese ein elementarer Kern der Heranführung der Menschen zu neuen Grundsätzen sein sollte. Alle pädagogischen Einrichtungen sollten, so der Beschluss der SED von 1952, so erziehen, dass Ausdauer, Prinzipientreue, Mut, Willensstärke und Bereitschaft zum Aufbau und der Verteidigung des Sozialismus und der Werktätigen den Kindern beigebracht werden. Diese sozialistische Moral war durch die Erziehung im Kinderkollektiv zu erreichen, die Kinder schon in der Krippe und im Kindergarten kennenlernen sollten. Das Ziel dieser Moral beinhaltete die Liebe zur DDR, der Sowjetunion, allen sozialistischen Staaten und Völkern, die sich im antiimperialistischem Kampf befanden. Gleichzeitig sollte Liebe zur Arbeit als Vorbereitung und Ordnungskonformität dienen. Neben diesen primären Zielen sollten die Kinder auch in der Selbstständigkeit erzogen werden, sodass Sauberkeit und Ordnung schnell vorherrschten. Kindliche Bedürfnisse nach Bewegung sollten in hohem Maße im Tagesablauf berücksichtigt werden.13 Die Ziele der Weltlichkeit, Einheitlichkeit, Staatlichkeit und der Aufhebung geschlechtsspezifischer Bildung wurden vom Selbstanspruch der Bildungsreform 1970 getragen.14 Der Gedanke, dass Kinder Einwirkung benötigen, um den Zielen gerechtwerdend geformt zu werden, lag in vielen Erziehungskonzepten vor, auch, wenn dieser Gedanke nicht unumstritten war. So kritisierten Pädagog*innen, dass neue Menschen nicht durch sie geformt werden können. Trotzdem wurde dieses Bild vom Kind weitergetragen.15          Ein wichtiges Ziel der Pädagogik war es auch, Mütter zu entlasten, die als Werktätige benötigt wurden und den emanzipatorischen Gedanken zufolge berufstätig waren. Als Ersatz dafür sollte eine heimische Atmosphäre in den Einrichtungen geschaffen werden, da diese sich positiv auf die Kinder auswirke, wobei ein gutes Verhältnis zu den Eltern als pädagogisch wertvoll verstanden wurde. In gleichem Zuge war der Gedanke des Ersatzes einer Erziehung tragend, wenn die Eltern für Nonkonformität bekannt waren und als den Kindern gegenüber „gleichgültig oder ablehnend‟ diffamiert wurden.16 Das Bild des Kindes nach sozialistischer Moral und Vorstellung wurde in meist altershomogenen Gruppen umgesetzt, wobei vermutet wird, dass in der Praxis eine Vielzahl von inoffiziellen Bildern von Erziehung vorherrschte und von den Fachkräften umgesetzt wurde. Somit wurden „die Schattenseiten der „sozialistischen Erziehung‟ teilweise [...] [korrigiert]‟.17  
Das „Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten‟ von 1985 schrieb einen Stoffverteilungsplan vor, welcher in einem bestimmten Zeitraum zu erfüllen war und Handlungsschwerpunkte für Beschäftigungen thematisierte. Dieser beinhaltete Erziehungsziele wie die Erziehung zur sozialistischen Moral, der geistigen, ästhetischen und körperlichen Erziehung sowie Gestaltungsformen für den Kindergarten wie Kooperationen mit Arbeitern, Soldaten, Pionieren und anderen sozialistisch konformen Personen und Berufsgruppen. Auch Lieder, Allgemeinwissen, Bilderbücher und andere Aspekte sollten die Zielerreichung unterstützen. Die Bedeutung des Spiels wurde unterstrichen, indem Spielformen wie Kreisspiele, didaktische Spiele, Ratespiele, Fingerspiele, Spiele mit Naturmaterialien und Rollenspiele durchgeführt werden sollten. Die Heranführung an die werktätige Beteiligung in der sozialistischen Gesellschaft sollte durch eigene Arbeit für sich selbst (Körperpflege, Essen und Umziehen) und für die Gruppe (Aufräumen, Tisch- und Gießdienste) gefördert werden. Die detaillierten Vorgaben sahen vor, dass die jüngere Gruppe eine 15 Minuten lange, die mittlere Gruppe eine 20 Minuten lange und zwei weitere je 15 Minuten lange und die ältere Gruppe eine 25 Minuten lange und zwei weitere je 20 Minuten lange Beschäftigungen der folgenden Sachgebiete täglich durchführen sollte. Zur Auswahl für die Fachkräfte standen die Sachgebiete der Muttersprache, der Kinderliteratur, das Bekanntmachen mit dem gesellschaftlichem Leben, das Bekanntmachen mit der Natur, der Sport, die bildnerisch-praktischen Tätigkeiten, die Musik und, mit Ausnahme für die jüngere Gruppe, die Entwicklung mathematischer Vorstellungen.18 Es zeigt sich, dass Kinder früh Förderung erlebten, auch wenn diese nicht individualisiert, sondern kollektivorientiert erfolgten. Durch diese Förderung sollte das politische Ziel der Chancengleichheit bei Bildungsmöglichkeiten unterstützt werden.19 Uwe Schaarschmidt, Professor der Akademie pädagogischer Wissenschaften der DDR kritisiert das Bild des Kinder in der Pädagogik der DDR, da dieses oft das Defizitmodell verfolgte, wonach Kinder unvollkommene Erwachsene seien und demnach eine Wertschätzung des Stadiums der Kindheit nicht wirklich möglich war. Seiner Auffassung zufolge hatte das „frustrierende Folgen für die kindliche Persönlichkeit‟.20 Die stark werte- und zieleorientierte Pädagogik der DDR sah also ihr Ideal in ihrem gewünschten Resultat: den sozialistischen, aktiven und werktätigen Menschen. Das Bild vom Kind wurde von dortausgehend angepasst und propagiert sowie gefordert.

2.3. Gegenüberstellung des pädagogischen Idealbildes in der BRD

In der unmittelbaren Nachkriegszeit, vor der formalen Gründung der BRD, wurde in den westlichen Besatzungszonen zunächst das Bild von Pädagogik aus der Weimarer Republik übernommen, wobei Pädagogik ein generell nebensächliches Thema war. Besonders in Hinblick auf die Altersspanne von null bis sechs Jahren wurde zunächst davon ausgegangen, dass Kindergärten Nothilfeeinrichtungen seien, die sich um verwaiste oder zu verwahrlosen drohende Kinder kümmerten.21 Die Familie war die klar dominante Form der Erziehung, die nur selten extern unterstützt oder gefördert wurde.22 Die Pädagogik bis in die 1960er Jahre hinein war kaum theorie – oder zielorientiert und wurde nicht einheitlich vorausgesetzt, was in der föderalistischen Strukturierung der BRD begründet war. Der herrschende gesellschaftliche Prulaismus hatte zur Folge, dass verschiedene Auffassungen vom Bild des Kindes präsent waren und umgesetzt werden konnten, da private Einrichtungen existierten. Mit der Zunahme der bildungspolitischen Bedeutung der sozialen Chancengleichheit Anfang der 1960er Jahre, gewannen Reformbestrebungen und definierte Konzepte an Bedeutung.23 Zunehmend galt das Kind als Partner der Eltern, die Familie wurde weniger als ein Herrschaftsraum begriffen und die individuelle Förderung der Kinder gewann an Bedeutung. 24
Durch die Umstrukturierungen gewannen Fröbels Theorien an Zuspruch und so wurde es als Ziel verstanden, dass Kinder durch kindgerecht gestaltete Erziehung schulreif werden, wobei sie nicht mit schulischen Inhalten im Kindergarten konfrontiert wurden. Im Kindergarten selbst sollten Kinder kein Pensum erreichen müssen, wobei erwartet wurde, dass durch die eigene Aktivität des Kindes, dieses selbst Beständigkeit, Sachlichkeit, Ausdauer, Konzentration und Gemeingefühl erlernt. Die Förderung der Vorschulkinder sollte zu deren bestmöglichen Vorbereitung separiert stattfinden. Man ging auch davon aus, dass diese Kinder häufig und recht zügig wechselnde Tätigkeiten benötigen, die oftmals gemeinschaftlich ausgeführt wurden. So wurde eine feste Tagesstruktur umgesetzt, die beispielsweise auch gemeinsame Toilettengänge beinhaltete. Es galt ein Vertrauen in die spontane Reife des Kindes selbst sowie dessen Entwicklung. Früh- oder Spätreife wurden als negative Folgen der neuen Umwelt betrachtet und sollten durch Isolierungen von derselben vermieden werden. Die ungleichmäßigen und unklaren Herangehensweisen stellten die Schulen vor Herausforderungen, da es keine normierten Kriterien zur Schulaufnahme gab, sondern allgemeine Konzentrationsfähigkeit, Selbstständigkeit, Feinmotorik und weiteres erwartet wurden. Sogenannte Schulkindergärten sollten demnach verhindern, dass in einigen Bereichen Defizite beim geplanten Schuleintritt vorliegen. Diese Form der Förderung setzte jedoch bereits Defizite voraus, weshalb die Heranführung oftmals nicht ausreichte.25 Durch Reformen ab 1970, die auch aufgrund des Drucks der 68er-Bewegung in ihren Inhalten an Bedeutung gewannen, konnten neue Ansätze der Pädagogik mit diversen Verständnissen von derselben sich verbreiten.26 Da diese in ihrer Quantität und Unterschiedlichkeit nicht im Rahmen dieser Arbeit ausgeführt werden können, sollten einige wesentliche Unterschiede zur Pädagogik in der DDR thematisiert werden, die auch anhand der hier dargelegten Informationen zu erschließen sind.   
Demnach lässt sich feststellen, dass in der SBZ, später in der DDR, deutlich früher klare Ziele für Kindergärten formuliert wurden und deren Bedeutung gesellschaftlich und politisch von deutlich höherer Relevanz war. Zusätzlich wurde die Einheitlichkeit der Vorstellungen erstrebt und verordnet, wohingegen diese im Westen durch den Föderalismus nicht bestand. Die Ziele der Pädagogik unterscheiden sich, wie bereits im vorherigen Kapitel dargelegt, in deren Genauigkeit und politischen Komponente, während viele der Methoden bis zu den Reformen im Westen in den 1970er Jahren ähnlich waren. Weitere signifikante Unterschiede sind die verschieden gewichtete Relevanz des Kollektivs sowie der Individuen. Während sich im Westen zunehmend kindgerechte Auffassungen vom Bild des Kindes, beispielsweise nach Fröbel, verbreiteten, war in der Praxis in der DDR die Defizitorientierung wesentlicher Bestandteil frühkindlicher Erziehung. Die gesellschaftliche Bedeutung und ihre Erwartungen an die Pädagogik unterschied sich stark, da im Westen die Ansicht der familiären Erziehung deutlich länger vorlag als im Osten.  Insgesamt geht hervor, dass es Unterschiede in der Auffassung vom Idealbild der Pädagogik gab, in der Praxis jedoch, besonders bis in die 1970er Jahre, wenige methodische Unterschiede zu erkennen waren. Zu beachten ist im besonderen auch, dass durch die Uneinheitlichkeit der Auffassungen und Idealbilder in der BRD kein direkter Vergleich, sondern immer nur ein Teilvergleich oder eine verallgemeinerte Gegenüberstellung möglich ist.

3. Kritische Auseinandersetzung mit pädagogischen Inhalten und Gegenüberstellung zum System in der BRD

3.1. Pädagogik in der Krippe

Das im Westen sehr unpopuläre Phänomen der Kinderkrippen war im gesamten Ostblock weit verbreitet und stellte die Umsetzung eines früh angestrebten Ziels der Gleichberechtigung der Frau durch gleiche Berufstätigkeit nach dem Idealbild des Marxismus-Leninismus dar. Den Frauen sollte somit eine Last abgenommen werden, welche nach Auffassung der Regierung einen beidseitigen Nutzen hervorbrachte. Kindern sollte eine gesunde Entwicklung und Sozialisation in der Gemeinschaft für eine optimale, sozialistische Erziehung dienen. Die Krippen waren dem Ministerium für Gesundheitswesen unterstellt und hatten, zumindest in der Theorie, einen durchaus detailliert ausgeprägten, medizinischen Anspruch bezüglich der Entwicklung der Kinder.27        
Schon früh lagen, wie in allen pädagogischen Bereichen, Grundorientierungen mit Zielen und Vorgaben vor. Diese wurden regelmäßig etwas abgeändert. Am Beispiel vom „Programm für die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen‟ aus dem Jahr 1985 lassen sich pädagogische Inhalte und Ziele feststellen. So waren einige der Schwerpunkte die Förderung des Spracherwerbs, die Förderung der Gesundheit, die ästhetische und moralisch-sittliche Erziehung, der Beziehungsaufbau, die Ausbildung des Spielens und Handelns und der Sinneswahrnehmung. Diese Aufgaben scheinen zunächst nicht ungewöhnlich und pädagogisch wertvoll. Interessant ist jedoch, dass dieses Programm nicht von Individuen und deren Entwicklung spricht, sondern von Erziehungszielen, zu denen das Kollektiv von der Erzieherin herangebracht werden sollte. So fällt auf, dass im gesamten Programm das Wort „Kind‟ fast ausschließlich im Plural formuliert wurde. Das lässt sich damit begründen, dass nicht die Förderung des einzelnen Kindes im Fokus stand, sondern durch das Defizitmodell die Ziele von allen erreicht werden sollten. Die Altershomogenität sollte die kollektive Zielsetzung vereinfachen, da es die pädagogische Annahme war, dass dies besonders effizient sei. Zusätzlich zeigte sich, dass der Sinn für das Kollektiv in der gleichen Altersstruktur quasi von Geburt an anerzogen werden sollte. Das Fundament für diese Überzeugungen stellte das Bild des Menschen von Friedrich Engels, wonach der Ursprung der Menschen die Arbeit sei. Diesem Bild sollten Kinder schon früh gerecht werden, sodass eine Eingliederung problemlos funktionieren würde. Ein weiteres Beispiel für die Unterordnung des Individuums dem Kollektiv ist die Tatsache, dass selbst das Spiel zielorientiert eingesetzt werden sollte. Eine Selbstverwirklichung spielte in der Krippe keine Rolle, wohl auch, weil das Fachpersonal durch viele Normen und Vorgaben kaum Zeit für individuelle Betreuungssituationen hatten. Die Eltern des Kindes wurden als Unterstützung der Erziehung in der Krippe gesehen, da diese als fachlicher und somit kompetenter beschrieben wurde. Für die Kinder ergab sich weniger ein benötigter Lebensbereich, sondern vielmehr eine Bildungsstätte. 28    
So lauteten einige der Vorgaben aus dem Jahr 1982 für Kinder mit zwei Jahren beispielsweise: „Verwendet Seife beim Händewaschen[...] Führt Aufträge mit Handlungsablauf aus [...] Geht zur Toilette [...] Steht drei Sekunden ohne Festhalten auf einem Bein [...] Verwendet Handfeger und Müllschaufel zum Auffegen‟. Die Feststellung weiterer Entwicklungsstände erfolgte durch die Fachkräfte immer in den letzten 10 Tagen eines Quartals und wurde genau dokumentiert.29 Um Ziele zu erreichen, wurde mitunter physische oder psychische Gewalt angewandt, welche unter dem Grund des Konditionierens besonders in den früheren Jahren der DDR verbreitet waren. Diese Phänomene werden oft auch „Schwarze Pädagogik‟ genannt, wobei ihre Inhalte seit der Aufklärung präsent waren und an Ansehen beispielsweise von Anton Semjonowitsch Makarenko, dessen pädagogischen Ideen die Heimerziehung in der DDR prägten, gewann30. Volkstümliche, nicht pädagogische Methoden wurden durchgesetzt, beispielsweise um eine zeitgleiche Urinentleerung des gesamten Kinderkollektivs zu ermöglichen. So wurden Kinder zur Abhärtung manchmal kalt geduscht und heißes Wasser wurde als Treibmittel verwendet. Im 15. Lebensmonat sollte das gesamte Kinderkollektiv so konditioniert werden, dass sich alle Kinder jeweils zwischen 6.15 und 6:45 Uhr, zwischen 11:15 und 11:30 Uhr und zwischen 14:00 und 15:00 Uhr entleeren. Um dies zu erreichen, wurden Kinder gegebenenfalls auf Töpfe mit heißem Wasser gesetzt, damit dies das Wasserlassen anregt. 31      
Das Phänomen der Wochenkrippen übersteigt quantitativ den Rahmen dieser Arbeit, jedoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Betreuung in diesen Einrichtungen sich relativ stark unterschied und die Auswirkung auf die Kinder erheblich negativer war. Zusätzlich ist zu beachten, dass als unterentwickelt betrachtete Kinder oftmals zu sogenannten Kinderkuren geschickt wurden, welche nicht eine heilende, pädagogische Herangehensweise boten, sondern nachhaltig schädigende Methoden verwendeten.32           
Im Vergleich dazu war in der BRD das Bild der Krippe negativ und fast dem in der DDR entgegengesetzt. So sah man nicht die Eltern als Unterstützung der Einrichtung, sondern als bestmögliche Erziehungsmethode, die auf dem sich nicht veränderten Rollen- und Familienbild basierte. Die Krippen wurden nur als Notfalloptionen aufgesucht und dienten fast ausschließlich zur kurzzeitigen Betreuung der Kinder. Es wurde lange angenommen, dass schwerwiegende psychische Probleme eine Folge der frühen Kinderbetreuung seien. Durch die emanzipatorischen Bestrebungen vieler Frauen im Zuge der 68er-Bewegung kam es zu einer höheren Nachfrage, da Frauen zunehmend berufstätig wurden. Es erfolgten Strukturierungen in den Einrichtungen, die jedoch weder einheitlich noch qualitativ messbar waren. Die Methoden in den Krippen waren bis zu den Phasen der Liberalisierungen in den 1970er Jahren meist sehr ähnlich.33

3.2. Pädagogik im Kindergarten

Fast alle Kindergärten, bis auf wenige Ausnahmen kirchlicher Einrichtungen, waren an das „Programm für Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten‟ gebunden. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass die praktische Gestaltung in den Einrichtungen sehr unterschiedlich verlief, da ein bedeutender Teil der Fachkräfte die Umsetzung der ideologischen Ziele nicht vehement verfolgte. Ausnahmesituationen, wie Kindergärten in sehr kleinen Ortschaften, in denen altersheterogene Gruppen vorlagen, existierten zwar praktisch, mussten sich jedoch den unflexiblen Vorgaben anpassen. Es wurde ein stets strenger Zeitplan aufgestellt und es war unter anderem eine Aufgabe der Kitaleitung, darauf zu achten, dass dieser eingehalten wurde. Der Zeitplan war für das Kollektiv gültig und bot keine individuellen Anpassungsmöglichkeiten, die Aktivitäten waren für alle Kinder verpflichtend. Das beinhaltete beispielsweise gemeinsame Toilettengänge, Mahlzeiten, Mittagsruhe oder Mittagsschlaf und die altersentsprechenden Beschäftigungen in von den Fachkräften vorgeschriebenen Bereichen.34 Die Vorgabe des Ministeriums für Volksbildung, dass Fachkräfte „alles, was den Kindern in ihrer Umwelt durch direkte Anschauung zugänglich ist, zielgerichtet über das unmittelbare Erleben zu vermitteln‟35 hätten, war in der Praxis durch den straffen Zeitplan und die defizitorientierte und kollektivorientierte Herangehensweise kaum anwendbar. Am Beispiel der Umsetzung des Sachgebietes der Muttersprache soll nun verdeutlicht werden, wie die pädagogische Herangehensweise gestaltet wurde. In einem Fachbuch für Erzieherinnen heißt es, dass die kognitive und kommunikative Funktion von Sprache ein essenzieller Schlüssel zur Persönlichkeitsentwicklung, des Denkens, der Überzeugungen und vielem mehr sei. Folglich sollten Kinder zur zusammenhöngenden Rede animiert werden, damit eine Verständigung vollzogen werden könne. Deshalb wären ein angemessenes Niveau der Sprachentwicklung, eine differenzierte Wahrnehmung von Sprache als Mittel zur Tätigkeit und das Schrift- und Schreibverständnis intensiv gefördert werden.36    Dem Ministerium für Volksbildung nach sollten die Erzieherinnen sich einen Überblick über die Lautbildung, sprachliche Aktivität, deutliche Aussprache, Grammatik und andere Aspekte verschaffen, damit die Gruppen und gegebenenfalls einzelne Kinder intensiver gefördert werden konnten. Als Mittel dazu schlug das Ministerium Stimmenspiele vor mit Inhalten von beispielsweise Lautimitationen, Zuordnen von Geräuschen, Flüsterspielen, Pustespielen, Sprachbewegungen und Mimikübungen, die jeweils mit Spiel und Spaß verbunden werden sollten. Die Phonetik wurde durch Gedichte und Reime gefördert, wohingegen in der Theorie beim Wortschatzerwerb im Alltag die Erzieherinnen viele Synonyme verwenden konnten, um beispielsweise ein häufiges Anwenden des Verbes „machen‟ zu verhindern und bei Ankleidesituationen mit Alternativen wie zuschnüren, umbinden, überziehen, zuziehen und zuknöpfen zu reagieren. 37   
Auf der anderen Seite waren diese pädagogisch wertvoll zu wertenden Ziele von weiteren Vorgaben begleitet. So gab es konkrete Angaben, welche Bilderbücher einzusetzen sind. Daher ging der Spracherwerb mit ideologischen Inhalten einher. Das Ministerium für Volksbildung schreibt dazu:

Die Erzieherin vermittelt die Kinderliteratur in einer solchen Weise, dass die Kinder die literarisch gestalteten Beziehungen der Menschen zu ihrer sozialistischen Heimat, zur Arbeit, zum Frieden und zur Freundschaft mit den Menschen in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern sowie zu den Menschen, die gegen die Feinde der Völker um ihre Freiheit kämpfen, auf der Grundlage ihrer Erfahrungen erleben, gedanklich erfassen und begründet werden. Die Kinder sollen in ihrer Bereitschaft gestärkt werden, sich gegenseitig zu helfen, gemeinsam zu handeln und sich richtiges Verhalten zum Vorbild zu nehmen.38

Einhergehend mit der vorbestimmten Literatur waren auch Ziele derselben damit direkt verbunden. Beispielsweise sollten Kinder durch die Kinderzeitschrift „Bummi‟ in der Geschichte „Guten Tag, Onkel Lenin‟ lernen, wie die Leninschen Vorstellungen des Einbezuges der Kinder als Teil der Volkes in den revolutionären Kampf aussahen.39           
Auch wenn diese Vorgehensweise der Indoktrination zu kritisieren ist, muss relativierend hinzugefügt werden, dass die Kinder unter diesen Inhalten nicht litten und Spaß hatten. Das galt für den Großteil der Kinder, jedoch bemerkten einige Kinder den Widerspruch zwischen ihrem Zuhause und dem Umgang mit einigen Themen und den vorgestellten Idealen im Kindergarten. Zusätzlich bot sich bei vielen Erzieherinnen ein natürliches, liebevolles Verhältnis zu den einzelnen Kindern, wodurch nicht der Eindruck des Kindergartens als Propagandaeinrichtung verstanden werden sollte. 40 Auch in den Forschungsgruppen für die Entwicklung der Programme für Kindergärten war der enorme politische Inhalt nicht unumstritten. Demnach hieß es, die Inhalte würden die Zweckmäßigkeit um ein weites übertreffen und es wurde gefordert, dass Überforderungen der Kinder in Form von politisch komplexen Aussagen wie von „Ausbeutern, Faschisten und Feinden, die unser friedliches Leben bedrohen und Krieg wollen‟ und die allgemeine Überpolitisierung gestrichen und durch mehr didaktisch-methodische Inhalte ersetzt werden sollten.41         
Vergleichend und einordnend lässt sich in der BRD ein anderes Vorgehen erkennen. Zu beachten ist, dass die Sprachförderung in Kindergärten uneinheitlich stattfand und erst später größere Bedeutung gewann. Da der Spracherwerb zunächst als Aufgabe der Mutter und der Familie angesehen war, waren keine pädagogischen Konzepte nötig. Ab den 1970er Jahren wurde die Bedeutung der professionellen Sprachförderung auch in der BRD präsenter und die Methoden lassen sich, wenn auch nicht flächendeckend, mit denen in der DDR vergleichen, wobei der ideologische Aspekt ein anderer war und grundlegend keine Politisierung erfolgte. Dies galt beispielsweise nicht in den vereinzelten Kinderläden, in denen ebenfalls ein anderes Menschenbild vermittelt wurde, die Inhalte jedoch nicht staatlich gelenkt und indoktrinierend wirkten.42 Insgesamt kann unter dem Aspekt der Sprachförderung festgestellt werden, dass in der BRD erst recht spät die Bedeutung der Förderung aufkam, da vorher Kindergärten als Betreuungsanstalten galten und deren Quantität und uneinheitliche Führung nur wenigen konkreten Zielen nachkommen konnte. Die Inhalte in der DDR wirken für ihre Zeit sehr fortschrittlich, waren jedoch durch die staatliche Orientierung eher als ein Mittel zum Erreichen der Ziele als eine individuelle Förderung zu verstehen.

3.3. Pädagogik im Hort

Im Zuge der intensiven Recherche bezüglich der Pädagogik in Horten stellte sich heraus, dass für die ausgewählte Ziehlgruppe nur bedingt aussagekräftige Quellen vorliegen. Das liegt vor allem daran, dass der Anteil der Kinder im Schulalter von sechs Jahren gering in den Horten war. Trotzdem lässt sich feststellen, dass Horte in der DDR eine wichtige Rolle im Bildungssystem spielten. Die langen Betreuungszeiten der Krippen und Kindergärten wurden auch in Horten angeboten und somit war die gesellschaftliche Bedeutung dieser Betreuung hoch. Die Horte verfügten über Zielvorgaben, ähnlich wie Kindergärten und Grundschulen und waren räumlich meist auf dem Schulgelände gelegen. Im Fokus dieser Nachmittagsbetreuung und Bildung stand ein geregelter Ablauf des Tages auch nach dem Unterricht. Es wurde darauf geachtet, dass Kinder Ruhephasen bekommen, beispielsweise in Form von Mittagsschlaf- oder Ruhe für die Erstklässler*innen. Es folgten nach dem Essen auch Hausaufgabenbetreuung, Spiele und diverse Angebote. Das Angebot wurde von bis zu etwa 80 Prozent der Kinder in Anspruch genommen. Der Hort bot damit ein Bindeglied zwischen der Schule und der sogenannten „geregelten Freizeit‟, wodurch der Staat die Möglichkeit hatte, Kinder auch nach der Schule politisch zu beeinflussen.43 In der BRD hingegen war zu dieser Zeit nur ein sehr geringes Angebot an Nachmittagsbetreuung vorhanden, welches sich meist auch auf Hausaufgabenbetreuung beschränkte und keine genauen, einheitlichen Vorgaben der pädagogischen Arbeit festlegte. Durch die angesprochene uneinheitliche Regelungen und Realitäten, lassen sich kaum Inhalte verallgemeinert darstellen. Das liegt auch daran, dass ein sehr geringer Anteil der Kinder in der Ganztagsbetruung war. 44       
Insgesamt lässt sich für die Pädagogik in der DDR in Horten eine Kontinuität feststellen, welche neben dem Übergang aus der frühkindlichen Bildung in das Schulsystem auch die lange Betreuung und Beeinflussung der Kinder in ihrer Freizeit ermöglichte. Wie in anderen pädagogischen Einrichtungen wurden Ziele angestrebt und verfolgt, wobei die Nähe zu schulischen Strukturen auch räumlch gegeben war.

4. Veränderungen in der Pädagogik nach 1989

Der Anschluss der DDR hatte besonders für die Menschen im Osten enorme Konsequenzen und setzte radikale Umorientierungen voraus. Es wurde eine Anpassung gefordert, wobei viele Sicherheiten verloren wurden, wie die Sicherheit des Arbeitsplatzes. In allen Bereichen der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollte eine Art Umerziehung vollzogen werden. Die sozio-kulturelle Identität der Menschen in der DDR wurde dabei kaum beachtet.45 
Die bevorstehenden Veränderungen wurden am „Runden Tisch zu Bildung, Erziehung, Jugend‟ vom 05. März 1990 besprochen und es wurde sich auf Grundsätze geeinigt, die künftig das Bild der Erziehung bundesweit prägen sollten. In diesem Positionspapier wurde beschlossen, dass Chancengleichheit unter individuellen Voraussetzungen gegeben sein sollte, sodass die Förderung von Individualität gefördert wurde. Weiter hieß es, dass es ein Recht auf emotionale Zuneigung von Geburt an geben sollte und die individuelle Betreuung durch sensible Bezugspersonen zu erfolgen habe. Als ein ebenfalls bislang vernachlässigter Aspekt sollte die Unantastbarkeit der Persönlichkeit werden, wonach Grundrechte aller Bereiche der Kinder als Grundlage der Bildungspolitik fungieren sollten. Die Würde, unabhängig unter anderem der politischen Identität, wurde gefordert. Zusätzlich wollte man Mitgestaltungsmöglichkeiten von verschiedenen Fachkräften, Kindern, Jugendlichen und Eltern stärken.46 Insgesamt wurde deutlich, dass die Grundsätze des Grundgesetzes umgesetzt und das Bildungs- und Erziehungssystem der DDR verdrängt werden sollte.47 Damit wurde der Anspruch einer sozialistischen Bildung nach dem Marxismus-Leninismus abgelöst, genauso wie die, durch selben in der Verfassung verankerten, Rechte auf Arbeit sowie den Asnspruch auf kostenlose Betreuung der Kinder in Krippe, Kindergarten und Hort, in denen lediglich ein Essensbeitrag erhoben wurde. Da durch den Anschluss der DDR an die BRD die Verantwortung der Bildung vom Staat auf die neuen Bundesländer übertragen wurde, die als Struktur jedoch noch nicht existierten und funktionierten, übernahm die BRD für die Übergangszeit die Kosten für die Kindertageseinrichtungen vom 03.10.1990 bis zum 30.06.1991. Dies erfolgte nach dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG). Es erfolgte eine faktische Abwertung der pädagogischen Fachkräfte, da durch das KJHG die Kindergärten nicht mehr dem Bildungsministerium, sondern dem Sozialministerium untergeordnet wurden und viele Abschlüsse in der BRD nicht anerkannt wurden, sodass zusätzliche Aus- und Fortbildungen zwingend notwendig waren um arbeiten zu können. Durch die innerhalb von drei Jahren fast halbierte Geburtenrate von etwa 200.000 auf 110.000 pro Jahr von 1988 bis 1991 verringerte sich die Nachfrage der Kinderbetreuung in den östlichen Bundesländern, zumal nach dem 30.06.1991 die Preise so stark anstiegen, dass viele Menschen sich diese vorerst nicht leisten konnten. Die Bestrebungen der Runden Tische bezüglich der Veränderungen des Bildes vom Kind und der pädagogischen Konzepte verloren schnell an Priorität, da zunehmend die Instandhaltung um jeden Preis durch Arbeitsplatzverluste, Kosten und andere Faktoren in den Vordergrund traten. Somit wurde die Veränderung des Kerns nicht konsequent durchgebracht. Oftmals erfolgte sie in der Pädagogik durch die Fachkräfte und deren Reflexion. So fokussierten diese sich zunehmend auf die eigentlichen Bedürfnisse der Kinder und weniger auf vorgeschriebene Ziele des Staates. Besonders Inhalte der Montessori-Pädagogik erfreuten sich an wachsendem Ansehen. Es kam jedoch auch vor, dass Fachkräfte sich diesen Erneuerungen entzogen und ihre Methoden nicht änderten.48     
Die Reformen der Kindergärten und Krippen waren fortan ein Prozess, welcher langsam aber konstant und individueller erfolgte. Die Pädagogik der DDR war formal nicht mehr existent und der Pluralismus bot diverse, in der DDR neue, Ansätze.

5. Vergleich zu pädagogischen Grundsätzen heute

Als Vergleichskriterium habe ich mich für fünf der vom Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg für den „Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen.‟ aufgestellten 12 Eckpunkte des Plans entschieden. Grund dafür ist die hohe Bedeutung des Orientierungsplanes für die pädagogische Praxis, gleichzeitig handelt es sich um die aktuellen pädagogischen Grundsätze.     So heißt es: „1. Der Orientierungsplan stärkt die Kinderperspektive. Er geht von den Motivationen des Kindes aus.‟49 Dieser Grundsatz war in der DDR ziemlich genau das Gegenteil, da nicht die Kinderperspektive, sondern die gesellschaftspolitisch proklamierte Perspektive der SED-Regierung tragend war. Die Motivation des Kindes war nebensächlich, da die Ziele des Regierungsplans ausschlaggebend waren.           
Ein weiterer Punkt: „4. Mehrperspektivischer Ansatz: Zusammenschau verschiedener Wissenschaften (Frühpädagogik, Sozialpädagogik und Schulpädagogik, Entwicklungspsychologie, Motivationspsychologie, Gehirnforschung, Theologie).‟50 Dieser Aspekt wurde in der DDR zwar formal zum Teil durchgeführt (Theologie wurde dabei selbstverständlich nicht berücksichtigt, da sie nicht vom marxistisch-leninistischen Grundgedanken tragbar ist), jedoch hatten Akteure aus den Wissenschaften kaum Mitspracherecht, selbst in den Expertenausschüssen, wie bereits im vorherigem Kapitel beschrieben. Hier herrschte also ein großer Unterschied zwischen Anspruch und Realität.     
Desweiteren: „5. Verbindliche Zielsetzungen und Gestaltungsspielräume in der Umsetzung und bei der Konzept- und Profilbildung.‟51 Während der erste Teil der verbindlichen Zielsetzungen in der Theorie in der DDR in besonderem Maße erfüllt war, wurde der dazugehörige Punkt der Gestaltungsspielräume gestrichen, da dies nicht dem Ziel der Einheit entsprach.       
Ein aktueller Punkt lautet: „6. Spielen als elementare Form des Lernens; Bewegung als Motor der Lernentwicklung, Motivationsentwicklung und Anstrengungsbereitschaft.‟52 Dieser Aspekt hat sich stark verändert, beziehungsweise auf frühe, pädagogische Gedanken wiederberufen. In der DDR war das Spielen laut Vorgaben eine zielorientierte Aktion, auch wenn man dessen praktische Umsetzung im pädagogischen Alltag klar relativieren muss, sodass in der Realität die Unterschiede nur formal bestehen. 
Letztlich gilt: „7. Die pädagogische Begleitung und Förderung ist ganzheitlich, entwicklungsangemessen, individuell, projektorientiert, kreativ, aktiv-entdeckend, forschend.‟53 Die pädagogische Begleitung in der DDR war zwar durchaus kreativ, aktiv-entdeckend und forschend, jedoch mit deutlich weniger Freiräumen, als dass es der Orientierungsplan heute vorsieht. Maßgeblich ist jedoch der Unterschied, dass die Förderung individuell und entwicklungs- statt alterangemessen vollzogen wurde. Diese besondere Wertschätzung des Individuums fehlte dem theoretischen, pädagogischen System in der DDR.  
Zusätzlich ist bemerkenswert, dass bei weiteren Punkten durchaus viele Gemeinsamkeiten in der Idee bestehen, beispielsweise dem Herbeiführen von Kooperationen aus der Umwelt der Kinder, wobei diese Aspekte in der DDR einen politisch gezielten Hintergrund hatten.        
Die Inhalte in den Punkten der Gegenüberstellungen gehen aus den Informationen der bearbeiteten und benannten Quellen hervor.

6. Schlussfolgerungen für die heutige Zeit

Nach den Zusammenfassungen pädagogischer Ziele, Inhalte, Methoden und der praktischen Umsetzung dieser lassen sich einige Schlussfolgerungen aus der DDR-Pädagogik ziehen. Als erstes sollte die Bedeutung der individuellen Förderung gegenüber der Kollektiverziehung hervorgehoben werden. Die Wertschätzung der Kinder, auch durch Kinderrechte, deutet auf, dass die Effizienz der Zielverfolgung wie in der Pädagogik des DDR-Systems heute eine untergeordnete Rolle spielt. Demnach ist es nicht vertretbar, dass Kinder um der Einheit willen psychisch gebrochen werden, was aktiv oder passiv in der DDR durchaus vorkam. Dies fand zwar selten direkt in Kindergärten oder Krippen statt, jedoch wurden Kinder, die als „schwererziehbar‟ galten, in Heime eingewiesen, in denen Makarenkos psychische Foltermethoden mit dem Ziel des Brechens des Individuums durchgesetzt wurden.54 Eine ebenso wichtige Schlussfolgerung ist auf der anderen Seite, dass die Eingliederung der Kindergärten in das Bildungssystem ein fortschrittlicher und förderlicher Aspekt war und maßgeblich dazu beitrug, dass nach dem Anschluss der DDR sich das pädagogische System fortschrittlicher orientierte, wenn auch dieser Vorgang keine direkte Konsequenz aus dem politischen System der DDR darstellt. 55 Als ein Ziel könnte die Schlussfolgerung formuliert werden, dass der rechtlich zugesicherte, kostenlose Betreuungsplatz für Kinder von der Geburt bis zur Einschulung in einem pluralistischen System der pädagogischen Bilder und Konzepte eine erstrebenswerte Forderung sind. Die positiven Aspekte dieser Absicherung und die Vielfalt der Möglichkeiten auf der anderen Seite sollten als ein ultimativer Gewinn verstanden werden.

7. Fazit

Um die Fragen zu beantworten, wie die, welche Auswirkungen der allgemeine Erziehungsstil in der DDR auf die Kinder hatte und welche pädagogischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können, habe ich mich zunächst mit der Geschichte auseinandergesetzt, da diese das Fundament der Aufarbeitung jeglicher Aspekte dieser Zeit ist. Nachdem ich mir einen Überblick verschaffen konnte, welchen Vorstellungen die Pädagogik entsprach und wie diese unter ausgewählten Kriterien in der Theorie und Praxis aussah, habe ich die Inhalte mit heutigen Grundsätzen verglichen und daraus abgeleitet, was aus der Pädagogik der DDR gelernt werden kann. Die aufgestellte Frage lässt sich nach der Recherche nur bedingt beantworten. Gründe dafür sind, dass kaum neutrale, wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema vorhanden sind und viele Zeitzeug*innenenberichte als anekdotische Evidenz in einer geringen Menge und ohne historisch-kritische Analyse in der Forschung nicht verwendbar sind und anderwertig verwendet werden. Betrachtet man die Eingrenzung des Alters und die von mir bearbeiteten Einrichtungen, lässt sich feststellen, dass die Auswirkungen des allgemeinen Erziehungsstils in der DDR stark waren, jedoch nicht im ausschließlich negativem Sinne. Im Vergleich der positiven und negativen Aspekte mit der Situation in der BRD sind wenige gravierende Unterschiede festzustellen, wenn auch der Zusatzpunkt der Überpolitisierung in der DDR stets einherging. Die Bewertung der pädagogischen Arbeit und deren Auswirkung auf die Kinder war auch damals, wie heute, abhängig von Aspekten wie der Dauer der Betreuung, der Gruppengröße, der Qualifikation der Erzieherinnen und der individuellen Gestaltung und Umsetzung von Vorgaben. 56    
Im Zuge dieser Arbeit konnte ich, hinsichtlich historischer Aspekte und der theoretischen Grundlagen der Pädagogik in der DDR, neue Erkentnisse gewinnen. Ich bin mir sicher, dass ein Exkurs im Rahmen des Unterrichts in dieses Thema eine Bereicherung für alle Fachkräfte, aber auch für alle Schüler*innen in Deutschland wäre, da in vielen Kreisen wohl falsche Bilder bezüglich dieses Themas vorherrschen.
Da bei insbesondere historischen Themen Ab- und Eingrenzungen oftmals unzufriedenstellend sind und nicht dem Anspruch der Wichtigkeit des Themas gerecht werden, inspiriert mich die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu einer Vertiefung und einer konkreteren Befassung mit der Aufarbeitung von Inhalten der DDR-Pädagogik. Wie schon in meiner Einleitung erwähnt, erfolgte eine intensive, neutrale Aufarbeitung noch nicht. Im Zuge der Facharbeit kam ich zum Schluss, dass in der Zeit nach dem Anschluss das Thema anderen untergeordnet und eine Aufarbeitung durch die spätere BRD nicht als wichtig und wünschenswert erachtet wurde. Glücklicherweise bin ich im Zuge meiner Recherche auch auf viele neue Publikationen gestoßen, was mich zur Annahme bringt, dass das Interesse der Aufarbeitung besteht und aktuell wächst.   
Insgesamt hat sich für mich in dieser Facharbeit bestätigt, dass es essenziell ist, aus der Geschichte zu lernen, um diese nicht wiederholen zu müssen.

8. Literaturnachweis

Fachliteratur

Aden-Grossmann, Wilma: Der Kindergarten: Geschichte – Entwicklung – Konzepte. Weinheim und Basel 2011.

Fuchs, Hans-Jürgen u.a.: Bildungspolitik in Deutschland 1945-1990. Ein historisch-vergleichender Quellenband. Oppladen 1992.

Herrlitz, Hans-Georg u.a.: Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart. Eine Einführung. Weinheim und München 2005.

Koerrenz, Ralf u.a.: Geschichte der Pädagogik. Paderborn 2017.

Poppe, Grit/ Poppe, Niklas: Die Weggesperrten. Umerziehung in der DDR-Schicksale von Kindern und Jugendlichen. Berlin 2021.

Reyer, Jürgen/ Kleine, Heidrun: Die Kinderkrippe in Deutschland. Sozialgeschichte einer umstrittenen Einrichtung. Freiburg, Breisgau 1997.

Roesler, Jörg: Geschichte der DDR. Köln 2012.

Rosenberg, Florian von: Die beschädigte Kindheit. Das Krippensystem der DDR und seine Folgen. München 2022.

Rödder, Andreas: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung. München 2011.

Steininger, Rolf: Eine vertane Chance. Die Stalin-Note vom 10. März 1952 und die Wiedervereinigung. Eine Studie auf der Grundlage unveröffentlichter britischer und amerikanischer Akten. Berlin/ Bonn 1985.

Tenorth, Heinz-Elmar: Geschichte der Erziehung. Einführung in die Grundzüge ihrer neuzeitlichen Entwicklung. Weinheim und München 2008.

Zwiener, Karl: Kinderkrippen in der DDR. Weinheim und München 1994.

Internetquellen

Bildquelle, Abb1: Schöning, Die Sozialistische Schule – Mosaik von Walter Womacka am „Haus des Lehrers“, Berlin Alexanderplatz. In: Bülow, Katja: deutschlandfunk.de.

Stand und Abruf: 20.04.2024. URL: https://www.deutschlandfunk.de/paedagogische-lesungen-in-der-ddr-sozialistische-schule-100.html

Berger, Manfred, Geschichte des Kindergartens. In: socialnet Lexikon. socialnet.de. Stand und Abruf: 19.04.2024. URL: https://www.socialnet.de/lexikon/Geschichte-des-Kindergartens

Böttcher, Sabine/ Gebauer, Ronald: Kitas und Kindererziehung in Ost und West. In: BPB. Bpb.de. URL: https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47313/kitas-und-kindererziehung-in-ost-und-west/

Kultusministerium, Die 12 Eckpunkte auf einen Blick. In: kindergaerten.kultus-bw.de. Stand und Abruf: 20.04.2024. URL:https://kindergaerten.kultusbw.de/,Lde/Startseite/Fruehe+Bildung/12+Eckpunkte

Rechenbach, Petra: Die Entwicklung der Grundschulhorte. In: GEW Thüringen. Gew-thüringen.de. Stand und Abruf: 20.04.2024. URL: https://www.gew-thueringen.de/aktuelles/detailseite/die-entwicklung-der-grundschulhorte

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1Vgl. Roesler, 2019, S. 14ff. und Steiniger, 1985, S. 104ff.

2Vgl. Roesler, 2019, S. 18ff.

3Vgl. Roesler, 2019, S. 34ff.

4Vgl. Ebd., S. 54f.

5Vgl. Ebd., S. 37ff. Und 54ff.

6Vgl. Ebd., S. 82ff.

7Vgl. Ebd., S. 101f.

8Vgl. Roesler, 2019, S. 105f.

9Vgl. Ebd., S. 107f.

10Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 96

11nach Höltershinken in Ebd., S. 96

12Vgl. Nach Krecker in Ebd., S. 96

13Vgl. Nach Ministerium für Volksbildung in Aden-Grossmann, 2011, S. 97f.

14Vgl. Herrlitz, 2009, S. 203

15Vgl. Nach Höltershinken in Aden-Grossmann, 2011, S.97

16Nach Ministerium für Volksbildung in Ebd. S. 99f.

17Nach Gebauer in Ebd. S. 102

18Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 104f.

19Vgl. Herrlitz, 2009, S. 199f.

20Nach Schaarschmidt in Ebd. S. 112.

21Vgl. Berger, 2022 (Webseite)

22Vgl. Tenorth, 2008, S. 313

23Vgl. Fuchs, 1992, S. 12 f.

24Vgl. Tenorth, 2008, S. 315

25Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 87ff.

26Vgl. Berger, 2022 (Webseite)

27Vgl. Zwiener, 1994, S. 14f.

28Vgl. Zwiener, 1994, S. 17f.

29Ebd., S. 21ff.

30Vgl. Poppe, 2021, S. 20 ff.

31Vgl. Rosenberg, 2022, S. 148f.

32Vgl. Reyer, 1997, S. 116ff.

33Vgl. Ebd., S. 158ff.

34Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 102f.

35Vgl. Ebd., S. 105

36Vgl. nach Brumme in Aden-Grossmann, 2011, S. 106f.

37Vgl. Nach Ministerium für Volksbildung in Aden-Grossmann, 2011, S. 107

38Ebd. S. 108

39Vgl. Ebd. S. 109

40Vgl. nach Schaarschmidt in Aden- Grossmann, 2011, S. 112

41Vgl. nach Launer und Sültmann in Aden-Grossmann, 2011, S. 112

42Vgl. Koerrenz, 2017, S.259ff.

43Vgl. Rechenbach, 2017 (Webseite)

44Vgl. Böttcher, 2020 (Webseite)

45Vgl. Rödder, 2018, S. 103ff.

46Vgl. Fuchs, 1992, S. 469f.

47Vgl. Ebd., S. 441

48Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 114 ff.

49Kultusministerium, 2011 (Webseite)

50Ebd.

51Ebd.

52Kultusministerium, 2011 (Webseite)

53Ebd.

54Vgl. Aden-Grossmann, 2011, S. 112f. und Vgl. Poppe, 2021, S. 20ff.

55Vgl. Ebd., 2011, S. 96ff.

56Vgl. Zwiener, 1994, S. 128

 

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