Wenn die AfD gewinnt. Unsere Wünsche

Liebe alle, diesmal verfassen wir den Beitrag in etwas anderer Form. Wir möchten uns noch direkter an euch richten, unabhängig davon, wer ihr seid, was euch beschäftigt, wen ihr wählen wollt ... denn am Sonntag ist es mal wieder so weit. In Sachsen und Thüringen finden Landtagswahlen statt. Hanna wählt in Sachsen, Weronika in Thüringen. Wenn ihr überlegt oder vorhabt, die AfD zu wählen, dann seid ihr hier genau richtig!


Ich will hier gar nicht um den heißen Brei herumreden, sicherlich haben wir alle die Prognosen gesehen und wissen mehr oder weniger, was uns da erwartet. Aber tun wir das wirklich? Ich möchte heute einfach mal aufschreiben, was ich mir von mir selbst und euch wünsche, für diese Wahl und unsere gemeinsame Zukunft. Und ich möchte aufschreiben, was passieren könnte, wenn die AfD gewinnt. 
Ich erinnere mich noch sehr gut an die letzte Landtagswahl. Damals, 2019, war ich gerade 18 Jahre alt geworden und stand wenige Tage davor, aus Görlitz wegzuziehen. Es war meine erste Wahl und voller Stolz ging ich zur Wahlkabine (ich war immer noch ein wenig angesäuert wegen der Tatsache, dass ich im Mai bei der Europawahl im Gegensatz zum Großteil meiner Freund*innen nicht hatte wählen dürfen). Schon bei dieser Landtagswahl bangte ich, denn die AfD gewann deutlich an Stimmen. Schon damals hatte sich gezeigt, dass es sich bei dieser Partei nicht um eine handelt, von der ich gerne regiert werden würde. Aber ich nahm auch schon damals eine große Frustration innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung wahr, nun, spezifisch in Görlitz. Die Menschen waren mit Vielem unzufrieden, insbesondere mit den Resultaten der Flüchtlingswelle von 2015/16. Das war damals das Hauptthema. Und trotzdem habe ich damals viel mit den Menschen darüber geredet, auch über die Bedeutung von Wahlen und dass man sie nicht nur als Frustrationsinstrument behandeln sollte. 
Seit 2019 hat sich viel getan, nicht nur in meinem eigenen Leben, das in diesem Kontext ja wohl eine eher untergeordnete Rolle spielt, sondern in der Welt und Gesellschaft. Allen voran die Corona-Pandemie, deren Beginn ich galant am anderen Ende der Welt verpasste und deren Resultate die Gesellschaft noch viel mehr spalteten. Hier bemerkte ich zum ersten Mal, dass Menschen nicht einmal mehr miteinander reden, wenn ihre Meinungen extrem voneinander abweichen. Inzwischen wundert mich das intuitiv nicht einmal mehr, damals war es eine Neuigkeit. Irgendwann kam die Impfdebatte. Dann 2022 Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine. "Und so weiter". Scheinbar eine Krise nach der anderen. 
Es war wirklich viel los in den letzten fünf Jahren, und es ist mit Sicherheit nicht alles glattgelaufen. Mit Sicherheit hat die Politik Fehler gemacht. Mit Sicherheit ging es vielen Menschen schlechter, abhängig wie auch unabhängig von dieser Politik. Mit Sicherheit hat all das enorm Energie gezogen und frustriert. Viele Menschen fühlten und fühlen sich übersehen und ungehört. Und das sage bzw. schreibe ich als Studentin, die dreieinhalb Semester nur online studiert hat, als Schwester eines Azubis, der neun Monate auf die Bearbeitung seines Bafög-Antrags warten musste, und als Schwester einer Schülerin, die mehrere Jahre ihrer Schulzeit auf sich selbst gestellt war, weil die Schule geschlossen hatte. Ich schreibe das als Tochter von Lehrern, die während der Pandemie und auch danach im beinahe konstanten Überarbeitungs- und Notfallbetrieb arbeiten müssen und Enkelin von lange isolierten Großeltern, die mit ewigen Wartezeiten bei Fachärzten kämpfen müssen. Und ich weiß, dass das alles im Vergleich zu anderen Notlagen, denen sich Menschen in unserem Land gegenübersahen und -sehen, noch ziemlich harmlos ist. Es läuft eben nicht alles glatt in unserem Staat, und viele können es nicht hören, wenn auf die vielen Vorteile unseres Landes verwiesen wird, die es ja gibt. Ich verstehe die Frustration, ich versuche immer wieder, sie zu verstehen. Und trotzdem gilt für mich das Prinzip: Wenn ich unzufrieden mit der Müllabfuhr bin, schütte ich meinen Mülleimer trotzdem nicht im Wohnzimmer aus. Aber genau das wäre für mich eine Wahl der AfD.


Ganz abgesehen davon (ich kann kaum glauben, dass ich das gerade schreibe), dass es sich bei der AfD um eine rechtsradikale, in Teilen faschistische Partei handelt, wären ihre Programmpunkte, sollten sie in der Regierung sitzen, absolut sinnlos, gar verschlimmernd für den Großteil der Menschen, die mit dieser Partei sympathisieren. 
Bist du alleinerziehend? Schlecht, denn die AfD will die Zuschüsse für Alleinerziehende kürzen oder streichen. Bist du armutsgefährdet? Sehr schlecht, denn die AfD möchte Grundsicherungen streichen und Reiche weniger besteuern, sie ist also eine Partei für die oberen 10% der Bevölkerung. Gehörst du zu den oberen 10%? Nein? Ungünstig, denn was Steuern an sich angeht, wird es dir mit der AfD in der Regierung schlechter gehen als jetzt. Hast du Probleme damit, einen Facharzttermin zu bekommen? Pech - denn wenn die AfD regiert, werden viele, viele Ärztinnen und Ärzte, ganz zu schweigen von dem Pflegepersonal, Sachsen und Thüringen verlassen (müssen), weil sie einen Migrationshintergrund haben, und dann wird es für dich noch schwieriger. Dir gefällt die AfD, weil sie so volksnah wirkt? Das ist sie leider nicht. Die Leute, die dir das verkaufen wollen, verdienen wahrscheinlich fünfmal so viel wie du. 
Was will die AfD noch, das dich vielleicht scheinbar nicht direkt betrifft? Die AfD hält an einem "traditionellen Familienbild" fest, sieht also alle Konstellationen, die nicht aus Vater, Mutter und Kind(ern) bestehen, nicht als Familien an. Darunter fallen nicht nur queere Paare, sondern auch Alleinerziehende. Die AfD möchte hunderttausende, Millionen von Menschen aus Deutschland abschieben - nein, nicht nur jene, "die sich nicht benehmen können". All jene, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen - nein, nicht nur jene, "die zum Schmarotzen herkommen". All jene, die die deutsche Staatsangehörigkeit zwar besitzen, deren Eltern sie aber nicht besitzen oder von Geburt an besaßen - nein, nicht nur jene, die "nicht weiß genug" sind oder "unsere Sitten nicht gelernt haben". 

Ich hab ein bisschen überlegt, was ich früher auf solche Aussagen geantwortet habe, als ich noch häufiger in Diskussionen zu solchen Themen geriet. Zum  Beispiel, dass Verhalten keine Sache der Hautfarbe oder Herkunft ist, sondern eine des Charakters, genauso übrigens wie üble Nachrede. Oder, dass Leute von anekdotischer Evidenz auf größere Zusammenhänge schließen, die es so gar nicht gibt. Generell scheint mir das der Kern das Problems zu sein. Ja, es gibt viele Probleme in unserem Land. Aber diese Probleme sind kompliziert. Diese Probleme sind komplex. Diese Probleme werden sich nicht mit einfachen Lösungen beiseiteschaffen lassen. Diese Probleme werden ganz sicher nicht verschwinden, wenn wir einfach mal ein paar Millionen Menschen aus unserem Land entfernen. Diese Probleme gab es nämlich vorher auch schon. 

Eigentlich finde ich es einfach nur schade, dass Menschen wie wir auf unsere eigenen Gehirnstrukturen hereinfallen. Unsere Gehirne sollen uns dabei helfen, die Welt zu verstehen, aber manchmal vereinfachen sie etwas zu stark, und es ist unsere Aufgabe, das zu erkennen und zu korrigieren. Wer nach dem ersten Schritt aber abbricht, ignoriert das und macht sich die Welt einfacher, als sie ist. Wenn euch jemand sagt, "Es ist eigentlich ganz einfach...", dann ist das in den allermeisten Fällen falsch. Denn nichts ist "eigentlich ganz einfach". Das ist frustrierend, aber immerhin wahr. Menschen, Parteien, die euch einfache Lösungen versprechen, lügen euch an. Und denkt daran: Eine Partei zu wählen, die euch das Blaue vom Himmel herunterlügt, indem sie euch Sachen wie "Sommer, Sonne, Remigration" verspricht und behauptet, alles würde dann besser werden - euch aber gleichzeitig geschickt von ihren anderen Programmpunkten ablenkt, die euch sehr schaden würden - und außerdem rechtsradikal und faschistisch ist; diese Partei zu wählen, kann nur als eins bezeichnet werden: Den Müll im Wohnzimmer auszukippen, weil man mit der Müllabfuhr unzufrieden ist. Und das hilft ganz sicher nicht gegen den Gestank. 

Aber was hilft denn nun? Ich habe geschrieben, dass ich die Frustration verstehen kann, aber auch geschrieben, dass ich die AfD nicht für wählbar halte, eine Partei, die von sich sagt, gerade diese Frustration auffangen zu wollen. Und gleichzeitig appelliere ich immer an alle, dass sie bitte wählen gehen sollen. Scheinbar kann man es mir nicht recht machen. Und gerade das ist es: Ich habe auch keine Lösung für die komplexen Probleme unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Es wäre verlogen zu behaupten, ich hätte sie. Ich schreibe niemandem vor, wen er oder sie zu wählen hat. Das Einzige, was ich tun kann, ist euch zu bitten, und ich bitte euch, nicht die AfD zu wählen, aus all den Gründen, die ich hier aufgelistet habe, und noch vielen mehr. Wenn euch all die großen Parteien frustrieren, wählt eine kleine Nischenpartei (das ist keine weggeworfene Stimme - jede Stimme zählt, und wenn mehr Leute kleinere Parteien wählen, haben sie auch eine Chance, ins Parlament zu kommen). Oder macht eure Stimme ungültig. Aber geht wählen, denn Wahlen sind das Kernstück unserer Demokratie. Ich kann euch nicht davon abhalten, am Sonntag der AfD eure Stimme zu geben, bedenkt nur, dass nicht nur ich dann mit diesen Konsequenzen leben muss (und auch ich habe einen Migrationshintergrund), sondern dass auch ihr mit diesen Konsequenzen leben werden müsst. Mindestens fünf Jahre lang. 

Weronika

 

 

 

Ein kleines Post-Scriptum von Hanna (ich weiß, ist nicht mein Beitrag, aber ich habe angesichts der Lage die Erlaubnis erteilt bekommen, meinen Senf auch noch dazuzugeben):

Weronika hat es sehr gut auf den Punkt gebracht, was in Sachsen und Thüringen passieren wird, wenn die AfD je Regierungsverantwortung übernehmen sollte. Ich habe manchmal das Gefühl, das, was wir zur politischen Situation im Osten sagen können, haben wir oft genug gesagt - es geht nicht mehr darum, mit Argumenten um sich zu werfen. Es geht nicht darum, Recht oder Unrecht zu haben.

Diese Wahl fühlt sich an wie ein Tag X, an dem sich die Zukunft (Ost)Deutschlands entscheiden wird. Überlegungen werden angestellt, "was machen wir, wenn ..."-Pläne. Oder auch "wo können wir hin, wenn ..."-Pläne. "Wie können wir uns schützen, wenn ..."-Pläne. Diese Wahl als Tag X, das ist natürlich zum Teil übertrieben, denn es wird eine Zeit nach der Wahl geben und in der wird es wahrscheinlich erst mal weitergehen wie bisher. Aber niemand sollte unterschätzen, was eine einzige Wahl für Konsequenzen haben kann. Die Konsequenzen werden euch einholen, die werden eure Nachbarn verfolgen, eure lieben Menschen, eure Kinder und eure Großeltern, eure Freunde. Die werden uns und viele andere vielleicht aus Ostdeutschland vertreiben, wer weiß. Wo Menschen gehen, wie soll da über eine Zukunft nachgedacht werden?

Wir wollen nicht mit Argumenten um uns werfen. Wir wollen nicht Recht haben. Wir wollen nicht das letzte Wort haben, und wir halten uns nicht für besser als euch. Wir lieben unsere Heimat, und wir wünschen uns, dass sie für alle Menschen eine Heimat bleiben oder werden kann. Eine Heimat ohne Gewalt. Eine Heimat mit Solidarität, Unterstützung, Hilfe, und zwar für alle, die sie benötigen. Eine Heimat, in der es nicht nur Gesellschaft gibt, sondern Gemeinschaft.

Und wir wollen auch, und da will ich ganz ehrlich sein, wir wollen über uns selbst sagen können: "Wir haben nicht geschwiegen."

Hanna

AfD-Wählen ist demokratiegefährdend. 
Eure Eastplaining-Autorinnen 

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