Nun, da die AfD in Thüringen stärkste Kraft geworden ist und auch in Sachsen sehr gut bei der Landtagswahl abschnitt, konstituieren sich gerade neue Parlamente. Uns stellen sich in diesem Zusammenhang natürlich viele Fragen. Mit einer davon möchten wir uns in diesem Beitrag intensiver beschäftigen: Was für wirtschaftliche Auswirkungen folgen denn nun aus dem Wahlergebnis der AfD konkret für Thüringen? Ich lege diesen Artikel besonders jenen zu Herzen, welche die AfD aus "politischen" Gründen wählen - weil sie beispielsweise mit der Migrationspolitik unzufrieden sind. Macht euch gerne einmal Gedanken darüber, was die AfD für eure wirtschaftliche Situation bedeuten würde.
Die Grundlage für diesen Beitrag bietet ein Gespräch, das wir am 17. September 2024 mit Prof. Dr. Gerhard Wegner, Professor für Wirtschaftspolitik und Institutionenökonomie an der Universität Erfurt, führten. Wir unterhielten uns über die Wahlergebnisse, was sich daraus für das Parlament ergibt und wie sich das auf Thüringen auswirken könnte. Aber wir sprachen auch generell über Wirtschaftsprogramme populistischer Parteien in Vergangenheit und Gegenwart und ihre Erfolgschancen.
Wir hoffen, Euch mit diesem Beitrag ein paar Denkanstöße geben zu können - und zu zeigen, dass die AfD auch in Fragen der Wirtschaft absolut keine für Euch hilfreichen Perspektiven bietet.
Viel hörte man in den Tagen nach der Wahl von der sogenannten Sperrminorität, welche die AfD mit ihren 30 Sitzen im neuen Thüringer Landtag nun besitzt. Mit einer solchen Sperrminorität können Entscheidungen, für die es eine 2/3-Mehrheit braucht, nur noch mit Stimmen der AfD verabschiedet werden - oder eben nicht, wenn diese nicht mitzieht. Dazu zählen beispielsweise Verfassungsänderungen, die Neubesetzung von Richterstellen oder die Selbstauflösung des Parlaments. In Thüringen sind allerdings die meisten Richterstellen ohnehin bis 2029 besetzt, also wird zumindest das nicht zum Problem. Allerdings könnte die AfD als stärkste Fraktion laut Geschäftsordnung den bzw. die Landtagspräsident*in stellen, laut Verfassung ist dies aber nicht vorgeschrieben - dort ist die Rede lediglich von einer "Person aus der Mitte des Landtages". Es wäre wichtig, dass dies nicht jemand aus der AfD ist, denn der/die Landtagspräsident*in kann beispielsweise Gäste einladen - so könnte auch ein Viktor Orbán in Erfurt aufkreuzen.
Außerdem wird nun natürlich die Koalitionsbildung zum Problem. Unpopuläre Entscheidungen müssen von allen Parteien gegen die AfD getroffen werden, die aber keine demokratische Oppositionspartei ist - nur ist sie in manchen Fällen auch die einzige Oppositionspartei. Das könnte zu einer weiteren Verstärkung der "Wir-gegen-die" oder "Alle-gegen-uns"-Mentalität führen. Auch das BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) wird hier eine wichtige Rolle spielen: wenn es sich an der Regierung beteiligt, wird es sich zwangsläufig von einer 1-Personen-Partei weiterentwickeln müssen. Eine Grundlage für Zusammenarbeit zwischen CDU und BSW bezüglich der Wirtschaftspolitik ist kaum gegeben. Die beiden Parteien verfolgen sehr unterschiedliche Ziele in diesem Bereich. Aber auch wenn die Koalitionsbildung sehr lange dauern sollte, muss es nicht zwangsläufig zu Neuwahlen kommen, denn nur, wenn 2/3 des Parlaments dafür stimmen, kann es sich auflösen. Im Gegensatz zu Sachsen hat Thüringen nämlich keine Frist, innerhalb welcher die Koalition stehen muss. Ob die AfD Interesse an Neuwahlen hat, ist fraglich. So zeigt sich also: In der aktuellen Situation ist es schwierig, eine Koalition zu bilden. Gängige bisherige Koalitionen sind nicht mehr möglich. Und die neuen Koalitionen, die sich bilden könnten, wirken bereits jetzt instabil und untereinander nicht gerade freundlich gesinnt. Das könnte dazu führen, dass fünf Jahre lang wenig passiert - schlecht für Thüringen.
Aber was steht eigentlich im Programm der AfD in Bezug auf Wirtschaftspolitik? Als sie sich 2013 gründete, verfolgte sie ein sehr wirtschaftsliberales Programm und stellte sich gegen die Euro-Rettung. Seitdem hat sich die Partei aber sehr verändert. Typisch für populistische Parteien - der Anteil des Wirtschaftsliberalismus sank mit dem Rechtsruck, die Partei verlor ihren ursprünglichen Charakter einer "Professorenpartei", viele traten wieder aus. Wenn populistische Parteien ihre Mehrheit behalten wollen, tendieren sie dazu, ein gewisses Maß an Umverteilung in ihre Programme einzubauen. Weltweit ist der Populismus angestiegen - aber interessanterweise unterscheiden sich links- und rechtspopulistische Parteien in ihrer Wirtschaftspolitik gar nicht so sehr. Beide betreiben Klientelpolitik und fokussieren sich auf eine ihnen gelegene Umverteilung. Die AfD möchte besserverdienende Menschen bevorteilen - wer sie also wählt und wenig verdient, begeht einen kolossalen Fehler.
Wir haben uns auch allgemeiner über Populismus unterhalten. Vielen ist gar nicht bewusst, worum es sich dabei eigentlich handelt - deswegen hier noch einmal ein kurzer Abriss. Wer weiß, was den Populismus kennzeichnet, ist sensibilisierter für seine Gefahren.
Populismus kann zu defekten Demokratien führen. Das bedeutet, dass Wahlen zwar weiterhin stattfinden und korrekt ausgezählt werden, also auch ein Machtwechsel möglich ist (so wurde beispielsweise in Polen die PiS-Partei im letzten Jahr als Regierungspartei abgewählt). Doch während sie im Amt sind, nutzen populistische Parteien alle Möglichkeiten aus, um Machtwechsel zu erschweren. So besetzen sie wichtige Verwaltungsstellen oder das höchste Gericht mit ihren Leuten, die auch noch nach einer Abwahl im Amt bleiben würden. Außerdem befinden sie sich in einer ständigen Mobilisierung: Der Wahlkampf findet nicht nur vor der Wahl statt, sondern hört danach nicht auf - so tut es beispielsweise auch Donald Trump. Was tun populistische Parteien noch? Sie versuchen, ihr Klientel zu privilegieren, in Ungarn werden öffentliche Aufträge wie Bauaufträge an die eigenen Leute vergeben und somit der Wettbewerb gestört, weil nicht mehr alle Firmen eine gleiche Chance bekommen, den Auftrag zu erhalten. Das ist in Deutschland - ja, eigentlich in der ganzen EU - schwierig, weil EU-Beihilfekontrollen existieren und das Vergaberecht beachtet werden muss. Dass in Ungarn dagegen verstoßen wird, kann auch negative Auswirkungen auf die EU-Gelder haben, die das Land erhält. Natürlich spielt auch die Kontrolle der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Freie und öffentliche Medien werden von populistischen Parteien - oder ihren Vertreter*innen - gerne aufgekauft. So wahrt man den Schein der freien Medien und der Pressefreiheit, sitzt aber am längeren Hebel für die öffentliche Meinung und kann für mehr Emotionalisierung sorgen. Und dass der Populismus nicht unbedingt mit Fakten, sondern insbesondere mit Emotionen arbeitet, ist bekannt.
Insgesamt weist der Populismus übrigens schlechtere Wirtschaftsergebnisse auf als funktionierende Demokratien, das ist inzwischen belegt. Denn seine Wirtschaftspolitik ist gekennzeichnet von Klientelpolitik, fehlendem Wettbewerb und Protektionismus. Populismus spaltet, und unterm Strich ist er teurer - und wer zahlt, das sind am Ende die Bürger*innen, mit ihrem Geld und im schlimmsten Fall auch mit ihrer Freiheit. Sind einfache Antworten auf komplexe Fragen das wirklich wert? Wollt ihr euer Geschick Menschen anvertrauen, die euch während einer Krise mit euren eigenen Emotionen manipulieren, um an die Macht zu kommen? Und das, wo es erwiesen ist, dass populistische Parteien am Ende die Situation ihres "Volkes" verschlechtern?
Zusammengefasst: Die AfD ist eine populistische Partei, die, wenn sie regieren würde, mit ihrer Wirtschaftspolitik äußerst schlecht wäre für Thüringen. Sie würde vielleicht beliebte Wirtschaftsentscheidungen treffen - für eine bestimmte Gruppe - aber keine notwendigen. Aber auch, wenn sie nicht regiert, müssen sich Koalitionen bilden, die sich in ihrer Wirtschaftspolitik radikal voneinander unterscheiden. Das könnte dazu führen, dass Entscheidungen sehr langsam getroffen werden, weil die Parteien nicht auf einen Nenner kommen. Wenn sie dann durchgesetzt werden, ist die AfD in der Opposition und kann ihre "Alle-gegen-uns"-Rhetorik verstärken. Und selbst wenn sich die Koalitionsparteien so sehr zerstreiten, dass sie eine Neuwahl wünschen würden, kann es sein, dass es nicht zu Neuwahlen kommt - weil die AfD eine Sperrminorität besitzt und eine 2/3-Mehrheit, die zur Selbstauflösung des Landtags nötig wäre, verhindern kann.
Insgesamt stehen uns also schwierige, herausfordernde Zeiten bevor. In diesem Beitrag habe ich mich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Wahlergebnisses befasst, aber die Gesamtwirkung von 30% AfD im Landtag ist natürlich noch viel schlimmer. Je mächtiger die AfD wird, umso wahrscheinlicher wird es, dass sie Zugang zu sensiblen Informationen erhält, die sie an ihre Freund*innen in Moskau und Peking weiterleiten kann. Und je mächtiger sie wird, umso näher müssen die demokratischen Parteien zusammenrücken, ob ihnen das gefällt oder nicht. Es muss sich zeigen, wie sehr sie dazu in der Lage sind.
Wir möchten, dass ihr versteht, warum die AfD keine gute Alternative für Deutschland ist. Auf lokaler Ebene, wo einzelne Bürgermeister bereits von der AfD gestellt werden, zeigt sich, dass sie nicht gerade kompetent sind und ihre Orte regelrecht herunterwirtschaften. Auf Landes- und Bundesebene agiert die AfD ähnlich: Parolen ohne tatsächliche Inhalte. Vieles würde sich unter ihr ändern. Aber insgesamt nicht zum Positiven.
Weronika
Leseempfehlungen:
Die wirtschaftlichen Folgen von Populismus
Die ökonomischen Kosten des Rechtspopulismus
Vielen Dank an Prof. Wegner für das Gespräch sowie an Hanna und Alicia für ihre Notizen, die ich als Ergänzung zu meinen eigenen verwendet habe.
P. S.: Vor einiger Zeit waren wir zu Gast im Menschen. Leben. Osten - Podcast, die Folge ist diese Woche erschienen! Hier findet ihr sie auf Spotify und hier auf der Website. Hört gerne rein!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen