Spielt der ostdeutsche Hintergrund bei Stipendienbewerbungen eine Rolle? Interview mit Alicia Strobach

Von Stipendien hatte ich während meiner Schulzeit überhaupt keine Ahnung. Zu Beginn des Studiums beantragte ich, wie so viele Studierende, Bafög und schlug mich damit durch. Aber dann wurde ich vom Prüfungsamt meiner Uni für ein Stipendium vorgeschlagen – und sehr vieles sollte sich verändern. Aber warum hatte ich zuvor kein Wissen über Stipendien? Sicherlich spielten viele Faktoren eine Rolle. Insbesondere der Fakt, dass sich weder meine Eltern noch meine Lehrer*innen damit auskannten oder mir zumindest davon berichten konnten. Nun, da ich bereits seit zweieinhalb Jahren Stipendiatin bin, merke ich immer wieder, dass es anderen auch so geht – und besonders solchen, die im Osten des Landes sozialisiert wurden. Anekdotische Evidenz? Oder doch der Hinweis auf ein tiefer gehendes Problem? Hanna und ich haben uns ja erst in der Studienstiftung kennengelernt und angefreundet und führten noch vor unserem Blog sehr viele Gespräche darüber, dass unserer Meinung nach zu wenige Ostdeutsche in unserer Stiftung aufzufinden sind – laut offizieller Zahlen um die 9%. Das entspricht nicht dem Bevölkerungsanteil. Aber woran liegt das?  

Am 9. Oktober 2024 sprachen wir mit Alicia Strobach, die in diesem Sommer ihren Bachelor an der Universität Erfurt in Staatswissenschaften-Sozialwissenschaften und Literaturwissenschaft abschloss. Ihre Bachelorarbeit verfasste sie zum Thema „Welche Rolle spielt ein ostdeutscher Hintergrund im Aufnahmeverfahren für ein Stipendium?“, was uns natürlich sehr interessierte – deshalb teilen wir heute unser Interview mit ihr. Alicia ist selbst Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, welche der Partei Die Linke nahesteht. Hanna und ich werden von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert, dem ältesten sogenannten Begabtenförderwerk Deutschlands. Um das einzuordnen, möchte ich an dieser Stelle kurz die deutsche Stipendienlandschaft erklären. Besonders bekannt sind die 13 großen Förderwerke. Dazu zählen politische Stiftungen, die einer Partei nahestehen (wie beispielsweise die Konrad-Adenauer-Stiftung, welche der CDU nahesteht, oder die Heinrich-Böll-Stiftung den Grünen), Stiftungen, die einer Religionsgemeinschaft nahestehen (wie das Cusanuswerk für Katholik*innen oder Avicenna für Muslim*innen) und neutrale Stiftungen wie die Studienstiftung oder die Stiftung der deutschen Wirtschaft. Wer als Studierende*r oder neuerdings auch Azubi von einem dieser Werke gefördert wird, erhält nicht nur den gleichen Betrag wie beim Bafög, sondern noch 300€ zusätzlich, muss davon nichts zurückzahlen und bekommt ein reichhaltiges ideelles Programm geboten. Dazu zählen je nach Stiftung unterschiedlichste Sommerakademien, Sprachkurse, Vorträge, Exkursionen, Auslandsförderungen und Stammtische, und jede bietet ein außergewöhnliches Netzwerk – bestehend aus Tausenden von ehemaligen und aktuellen Geförderten. Ein Stipendium bedeutet also einen gigantischen Vorteil – eine Möglichkeit, sein Studium zu finanzieren, dabei zahlreiche kostenlose Weiterbildungsangebote in Anspruch zu nehmen und Kontakte zu knüpfen. (Dieser Blog würde auch nicht existieren, hätten Hanna und ich uns nicht bei der Studienstiftung kennengelernt!) Und doch wimmelt es in den Förderwerken scheinbar nicht von Menschen mit ostdeutschem Hintergrund. Mit der Frage nach dem Grund dafür beschäftigte sich Alicia in ihrer Arbeit. Viel Freude beim Lesen!

Weronika: Es ist uns immer ein wichtiges Anliegen, junge ostdeutsche Leute vorzustellen, die sich mit ihrer Herkunft befassen und zum Thema Ostdeutschland forschen. Erkläre doch einmal kurz, worum es in deiner Bachelorarbeit geht. 

Alicia: In meiner Arbeit geht es darum, welche Rolle ein ostdeutscher Hintergrund in den Bewerbungsverfahren für Stipendien spielt. Mein Fokus lag zunächst auf den 13 großen Begabtenförderwerken, was ich noch eingrenzte, und darauf, welche Sicht solche Institutionen auf eine von mir erdachte ostdeutsche Unterrepräsentanz unter ihren Stipendiat*innen haben. Da ich nicht wusste, ob es eine Unterrepräsentanz gibt, aber im Rahmen einer Bachelorarbeit keine Betroffenenanalyse durchführen konnte, habe ich mich entschieden, den Blick auf die Institutionen zu werfen und mich mit deren Auswahlprozessen und der Entscheidungsfindung in diesen Auswahlprozessen auseinanderzusetzen. So wollte ich herausfinden, ob der ostdeutsche Hintergrund da eine Rolle spielt. 

Weronika: Wie viele der Förderwerke haben auf deine Anfrage geantwortet?

Alicia: Die religiösen Förderwerke habe ich nicht angeschrieben. Von den übrigen erhielt ich fünf Rückmeldungen, darunter sagten mir die der deutschen Wirtschaft aus Kapazitätsgründen ab, und die Heinrich-Böll-Stiftung, da sie nur Promovierenden Interviews geben. Letztendlich kamen mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und mit der Studienstiftung des deutschen Volkes Interviews zustande. Außerdem habe ich den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, interviewt. 

Weronika: Ich finde es schon bemerkenswert, wie wenige darauf reagiert haben und wie wenig Material dazu existiert.

Hanna: Wie bist du denn zu dem Thema gekommen, hat dich das schon immer interessiert? Wie war da der Hintergrund?

Alicia: Das resultierte tatsächlich aus persönlichem Interesse. Ich bin geboren und aufgewachsen in einer kleinen Stadt in Brandenburg und studiere in Erfurt, und bin selbst Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Immer, wenn ich an Stiftungs- oder stiftungsübergreifenden Veranstaltungen teilnahm, zum Beispiel Sommerakademien – Weronika und ich waren 2022 auf einer in Heidelberg – und dort fiel mir auf, wie wenige Stipendiat*innen mit ostdeutschem Hintergrund ich getroffen habe. Da fragte ich mich immer wieder: Wie kann das denn sein? Wir sind ja nicht weniger begabt im Osten. Dann habe ich überlegt, woran es liegen könnte, und je mehr es in meinem Studium in Richtung der Bachelorarbeit ging, entwickelte sich dieses Thema. Ich schaute auch immer wieder, welche Informationen es schon dazu gibt, aber bis auf die Studie von Hartmut Rosa und Peter Schulz existiert dazu keine Forschung. Immer wieder stieß ich auf veraltete Datensätze. Das fand ich nicht in Ordnung, denn immerhin geht es hier um Menschen, eine ziemlich große Gruppe von Menschen, und da hängt ja auch ein langer Rattenschwanz dran – demografischer Wandel, Wegzug und Zuzug. Also beschloss ich, mir diese Nische auszusuchen. 

Weronika: Was waren die Ergebnisse deiner Arbeit?

Alicia: Was ich wissenschaftlich erfasst habe, ist, dass es bei den Förderwerken weniger Bewerbungen aus Ostdeutschland gibt, als der Bevölkerungsanteil nahelegt. Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Bei den Interviews, die ich durchgeführt habe, stellte sich heraus, dass alle Beteiligten von der ostdeutschen Unterrepräsentanz ausgehen, auch wenn sie diese nicht immer nachweisen können. Die Studienstiftung hat mir vor dem Gespräch ihre Erhebungen geschickt und war diesbezüglich sehr offen, bei der Konrad-Adenauer-Stiftung verhielt sich das anders, sie führt nicht so viele Erhebungen durch. Die Studienstiftung ergreift Maßnahmen mit einigen besonderen Programmen. Insgesamt hatte ich aber das Gefühl, dass den Stiftungen, die ich interviewt habe, das Problem bekannt und bewusst ist, sie aber nicht selbst die Ressourcen und die Zeit dafür haben, es ausreichend anzugehen. Es wurde die Notwendigkeit einer bundesweit übergreifenden Institution artikuliert, die diese Informationen erhebt und im Blick hat. Eine einzelne Stiftung kann das eben nicht leisten. Dazu muss über Landes- und Schulämter gegangen werden, auch aus der Politik bräuchte es mehr Druck, weil es so viele verschiedene Gründe gibt, die dazu führen, dass sich jemand nicht auf ein Stipendium bewirbt. Das Interview mit dem Ostbeauftragten empfand ich nicht als besonders hilfreich. Er sah sich nicht zuständig für dieses Thema. Das fand ich ein bisschen schade, denn ich hatte erwartet, dass ich als Ostdeutsche mit dem Ostbeauftragten über ein Thema, das ostdeutsche Studierende betrifft, detaillierter sprechen kann und nicht nur höre, dass die Förderwerke und Ministerien das alleine hinbekommen müssen. Zu Beginn seiner Amtszeit hat er Anfragen an die Förderwerke verschickt und erbat Auskunft über die Anzahl Ostdeutscher in der Förderung, erhielt aber keine Antwort. Sein Fokus schien aber gar nicht wenigstens ein Stück darauf zu liegen, sondern auf der wirtschaftlichen Situation. 
Weronika: Die wirtschaftliche Situation ist natürlich auch wichtig, aber trotzdem – einen Wirtschaftsstandort macht eben mehr aus als seine Wirtschaftskraft. Wichtig ist, was den Leuten zur Beschäftigung geboten wird, und heute entscheiden sich junge Leute aus vielschichtigeren Gründen für einen Arbeitsplatz als früher. Wenn schon in der Ausbildung und im Studium nicht ausreichend signalisiert wird, dass in die Jugend investiert wird, wandern immer mehr Menschen ab.

Alicia: Insgesamt hatte ich das Gefühl, dass sich überall gegenseitig die Schuld zugeschoben wurde – es braucht einfach mehr Kommunikation zwischen Politik, Förderwerken, Betroffenen, Vereinen und Verbänden. Eine offene Frage, die sich am Ende meiner Arbeit ergeben hat, war die nach einem Osthabitus. Beim Habitus handelt es sich um die Aneignung sozialer Handlungsformen. Das sind Handlungsschemata, die von den Eltern und Bezugspersonen erlernt werden, mit denen man aufwächst, und die man später selbst reproduziert. So grenzt man sich von anderen Gruppen ab, wenn wir auf die Klassenthematik schauen, existiert ein klasseneigener Habitus. Der Habitus vereint bestimmte Eigenschaften in sich. Durch meine Arbeit zog sich die Frage: gibt es ein Ostspezifikum? Nicht ein Klassenspezifikum, also beispielsweise, dass sich weniger Menschen aus der Arbeiterklasse auf ein Stipendium bewerben, sondern: gibt es spezifisch im Osten eine habituelle Einstellung, die eine geringere Bewerbungsquote erklärt? Was auch in der Studie von Harmut Rosa anklang, ist der Bezug zur Verwurzelung in der DDR. Die Tatsache, dass die Eltern bzw. Großeltern die Handlungsschemata und Einstellungen an ihre Kinder weitergeben und deshalb diese Einstellungen immer wieder reproduziert werden, führt dazu, dass weiterhin eine gewisse Abneigung gegenüber oder fehlendes Vertrauen in Parteien, Verbände und Religionsgemeinschaften existieren. Aber es sind gerade solche Institutionen, Vereine, Verbände, Parteien und Religionsgemeinschaften, die zentrale Vermittler für Engagement sind oder für ein Stipendium förderlich sind, gegebenenfalls sogar darauf hinweisen. Es gibt also weniger Leute, die den Institutionen vertrauen, schon auf diesem Weg kommt es zu einem Nichtwissen um Stipendien. Wenn das dann noch an einen Klassenstatus gekoppelt ist, man beispielsweise als Erste*r in seine*r Familie studiert, wie das auch auf mich selbst zutrifft, fehlt dir auch das Zutrauen darin, was eine Institution alles machen kann. Sie dient ja nicht nur als Informations-, sondern auch als Motivationsfaktor. Und diese könnte ja sagen: Hey, wir sehen, du bist engagiert, du hast Bock, du bist nicht ganz blöd, du willst studieren, hier, es gibt Stipendien, mach das doch mal, wir glauben, du könntest es schaffen. Dieser Satz löst so viel aus, aber wenn man ihn nicht hört und dieses Vertrauen nicht hat, ist klar, dass man sich das nicht so zutraut. Viele Förderwerke haben ja auf den ersten Blick total komplizierte Bewerbungsprozesse mit Tests, Gesprächen, sich selbst präsentieren, sich in Szene setzen. Wenn man mit solchen Prozessen nicht vertraut ist, dann ist die Hürde deutlich größer. Das Klassen- und das Ostproblem gehen hier ein bisschen Hand in Hand, das ist zumindest meine Interpretation. 

Weronika: Darüber habe ich auch gerade nachgedacht. Wenn ich Anderen das so erkläre, warum es weniger Stipendiat*innen aus dem Osten gibt und diese Ansätze nenne, kontern sie oft mit anekdotischer Evidenz in der Form von „Aber ich komme auch aus dem Westen und wusste nichts von Stipendien, im Westen gibt es auch abgehängte Dörfer.“ Ich frage mich, inwieweit es einen Osthabitus separiert von einem Klassenhabitus gibt, und auch, inwieweit der Klassenhabitus im Westen sich von dem im Osten unterscheidet. Ich möchte ja deren Probleme gar nicht kleinreden, aber auch nicht in diesen Whataboutism einsteigen, denn auf jedes strukturelle Problem sollte einzeln eingegangen werden. Gibt es denn zum Osthabitus überhaupt Forschung?

Alicia: Nicht wirklich. In meiner Arbeit habe ich mich für die Klassentheorie entschieden, aber heute kann man eigentlich kaum noch von Klassen sprechen, eher von Milieus. Da ist eine Ost-West-Trennung natürlich auch schwer zu vollziehen. Es ist jedenfalls nicht nur der Osthabitus daran schuld. Selbstverständlich spielen auch die Bevölkerungsverteilung und die Verteilung der Hochschulstandorte eine Rolle, sehr viele westdeutsch Sozialisierte bleiben für ihre Ausbildung und ihr Studium im Westen. Man merkt also, wie groß diese Thematik ist und wie breit die Analyse sein muss. Wenn ich dann noch überlege: wie definiere ich ostdeutsch?, stoße ich schon an Grenzen, denn es gibt keine einheitliche Definition. Daran merkt man auch, dass der Forschungsbestand in diesem Bereich unterirdisch ist. Die Allensbach-Studien, auf die ich mich bezogen habe, sind von 2011 und 2014. 

Hanna: Es ist ja auch schwierig zu erfassen, wer von den Studierenden ostdeutsch sozialisiert ist oder nicht und wer an einer ostdeutschen Hochschule studiert. Gerade in Jena studieren viele Leute, die aus den westdeutschen Bundesländern hergekommen sind.

Weronika: Die Studienstiftung definiert das ja über den Ort des Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung. Trotzdem studieren viel weniger Leute im Osten und weniger haben ein Stipendium. Bei uns wird ganz Thüringen mit ca. 150 Stipendiat*innen der Studienstiftung in einer Regionalgruppe zusammengefasst, während allein Heidelberg über 700 hat. 

Hanna: Eben, dadurch haben viele Stipendiat*innen der verschiedenen Förderwerken hier eine unterdurchschnittliche Betreuung. 

Alicia: Bei der Rosa-Luxemburg Stiftung sind es in Erfurt nur zwei oder drei an der Uni, wir sind aber auch insgesamt nur leicht über 1000, soweit ich weiß.

Weronika: Aber weißt du, wie da die Verhältnisse sind?

Alicia: Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat leider nicht auf meine Anfragen geantwortet. In der Studie von Hartmut Rosa kam, soweit ich weiß, heraus, dass es die einzige Stiftung mit mehr Studierenden an ostdeutschen Hochschulen ist. Sie ist aber auch die einzige Stiftung, die selbst einen ostdeutschen Hintergrund hat. Deshalb gibt es da auch mehr Angestellte aus dem Osten, und der Sitz ist in Berlin, nicht, wie bei vielen anderen der Begabtenförderwerke in Bonn. Ich habe ja die Online-Aufnahmekriterien der Stiftungen verglichen, die in dem Punkt unterschiedlich transparent sind, aber mein Gefühl war, dass, je mehr Leute mit ostdeutschem Hintergrund in den Auswahlausschüssen sitzen, das umso mehr zu einer Sensibilisierung für dieses Thema führt. Mir wurde gesagt, dass natürlich immer auf die individuelle Biografie geschaut wird, und das ist ja auch in Ordnung und richtig so. Aber ich glaube, wenn wir gerade über Ostdeutschland reden, ist es unheimlich wichtig, dass Menschen in den Kommissionen dafür sensibilisiert werden. Ich sage auch nicht, dass es eine Ostquote braucht, da gehe ich mit den Stiftungen mit. Dann wird einem der Stempel wieder aufgedrückt, der des Quoten-Ossis. Aber natürlich muss man sich wirklich konkrete Strategien überlegen, wie dieser Eliten-Zirkel durchbrochen werden kann, dass sich nicht immer wieder nur Kinder von Stipendiat*innen auf Stipendien bewerben. Es fehlt jemand, der sagt, ich glaube an dich, ich mache dich fit für das Stipendium. Ich erkläre dir, wie dieser Auswahlprozess funktioniert, welche Förderwerke es gibt. ApplicAid und Arbeiterkind sind da schon gute Ansätze, aber auch sie erreichen noch längst nicht alle. Wenn ich an meine kleine Schule denke, kann ich nur sagen, dass nie jemand dort etwas von Stipendien erzählt hat. Die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Studienstiftung entsenden über ihre Botschafter*innenprogramme aktuelle Stipendiat*innen an ihre ehemaligen Schulen, aber da diese eben vorrangig nicht aus diesen Kleinstädten oder aus dem Osten kommen, führt das wieder zu einer Reproduktion. Daran müsste konkret gearbeitet werden, denn es ist ja auch ein Milieuproblem, und so etwas muss heutzutage nicht mehr sein. 

Weronika: Ich bin ja bei ApplicAid, und für die nächsten Jahre ist zum Glück sehr viel geplant, was Ostdeutschland und strukturschwache Regionen angeht. Aber ich sehe auch ein Problem darin, dass sowohl an ApplicAid als auch an das Botschafter*innenprogramm der Studienstiftung Anfragen herangetragen werden, mit denen sich doch eher Bund und Länder befassen sollten. Es kann ja nicht sein, dass die Herstellung der Bildungsgerechtigkeit zu 90% auf uns Freiwillige abgewälzt wird. Natürlich leisten wir unseren Teil, es braucht aber offizielle, eigene Strategien mit hauptamtlichen Mitarbeiter*innen, um das Problem gezielt anzugehen. 

Hanna: Hast du vor, das Thema weiter zu verfolgen?

Alicia: Ich beginne gerade meinen Master in Staatswissenschaften mit dem Schwerpunkt Sozialwissenschaften in Erfurt und würde das gerne weiterverfolgen, muss aber schauen, ob ich einen guten Betreuer oder Mentor dafür finde. Hier setzen viele die Schwerpunkte auf Wirtschaftspolitik oder internationales Recht, da ist es natürlich schwierig mit so einem kleinen Ost-Thema, gerade, wenn die Professor*innen hier an der Uni hauptsächlich westdeutsch sozialisiert sind. Ich möchte aber gerne weitermachen, denn ich brenne für das Thema. 

Weronika: Deine ursprüngliche Frage war ja, ob der ostdeutsche Hintergrund bei der Bewerbung eine Rolle spielt oder nicht und welche Bedeutung die Stiftungen dabei haben. Würdest du also sagen, für die Stiftungen zählt es nicht als Vor- oder Nachteil, sondern, dass die Forschung generell ergeben hat, dass es ein Problem in dem Bereich gibt?

Alicia: Aus Sicht der Stiftungen ist es kein Nachteil und kein Vorteil. Das Problem besteht im geringeren Bewerbungszulauf aus Ostdeutschland, damit muss sich auseinandergesetzt werden. Meines Erachtens braucht es dafür eine institutionenübergreifende Lösungsstrategie und bundesweite Initiative, die aktiv für mehr gleiche Beteiligung von Bewerbungen sorgt.


Vielen Dank an Alicia Strobach für das Interview. Wenn ihr euch genauer über Stipendien informieren wollt, scrollt nach unten – dort haben wir euch einige hilfreiche Links herausgesucht. Wenn ihr gerade studiert, eine Ausbildung macht, oder jemanden kennt, der oder die sich gerade in diesem Lebensabschnitt befindet: Informiert euch, gebt Informationen weiter, bewerbt euch! Lasst uns die deutsche Stipendienlandschaft gemeinsam bunter gestalten. 
Weronika


Weiterführende Links:

Studie von Hartmut Rosa und Peter Schulz zur Situation ostdeutscher Studierender in der Stipendielandschaft

Mystipendium.de - Datenbank für Stipendien

Arbeiterkind - Anlaufstelle für alle, die als Erste*r in ihrer Familie studieren

ApplicAid - Initiative für mehr Gerechtigkeit in der deutschen Stipendienlandschaft

Die Stipendienberaterinnen - Podcastfolge mit Weronika auf der Website von ApplicAid oder auf Spotify

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