Zuallererst wünschen wir allen unseren Leser*innen ein frohes und gesundes neues Jahr und hoffen, dass ihr auch 2025 nicht damit aufhört, auf dieser netten kleinen Seite im Internet interessante Ostdeutschland-Schnipsel finden zu wollen!
Hanna & Weronika
Sie waren lange ein Standardelement westlicher Wohlstandskultur, spielten eine Rolle in Nationalerzählungen, Wahlprogrammen und kulturellen Produkten: die eigenen vier Wände. Oder, etwas größer gefasst, der eigene Grund und Boden. In Gesellschaften, in denen Privateigentum das Maß vieler Dinge ist, stellt ein Eigenheim für viele nach wie vor die Verwirklichung eines Lebenstraums dar. Garantierte Sicherheit, Stabilität, Raum für Familie, ein Platz, von dem man nicht mehr so einfach zu vertreiben ist. Wie viele der Themen, die wir in den vergangenen fast zwei (!) Jahren auf diesem Blog be- und zerschrieben haben, reiht sich nun auch dieses ein in eine lange Liste von West-Ost-Unterschieden, die unter der Oberfläche des gesellschaftlichen Bewusstseins schwimmen und auf die man erst hingewiesen werden muss, bevor man anfängt, über sie nachzudenken.
Immobilienbesitz. Ein schnödes Wort und eigentlich auch ein schnödes Thema, wenn es nicht so viel soziales Brennmaterial beinhalten würde. Wie bei vielen Indikatoren, die Aufschluss über Wirtschafts- und Sozialverhältnisse geben, zeigen sich nämlich nach wie vor sehr eindeutige Divergenzen zwischen Ost- und Westdeutschland. Das Thema ist schon länger ein hot topic in der Ostdeutschland-Szene: Die SPD-Politikerin Lilly Blaudszun bezieht sich auf diese Statistik, als sie auf Instagram postet: "Es gibt keine Region in Westeuropa, wo den Menschen, die dort wohnen, so wenig Grund und Boden und Immobilien gehören wie in Ostdeutschland". Aber zunächst mal die stumpfen Zahlen. Der Anteil an Menschen, die in Ostdeutschland ihr eigenes Haus oder ihre Wohnung besitzen, ist nach wie vor geringer als in Westdeutschland. 2020 waren es über zehn Prozentpunkte Unterschied; im Osten sind 31, im Westen knapp 45 Prozent der Menschen Eigentümer*innen ihres eigenen Wohnraums. Wer jetzt auf verschleppte Angleichungsprozesse nach der deutschen Einheit hinweist, die ihr Ziel eben noch nicht erreicht haben, dem sei gesagt sein, dass die Unterschiede in den Eigentumsquoten seit den 90er Jahren keine große Veränderung zeigen. Ausgeprägte Stadt-Land-Unterschiede lassen sich dabei nicht von der Hand weisen. Während auf dem Land tendenziell mehr Menschen den Grund besitzen, auf dem sie wohnen, müssen die in (ostdeutschen) Großstädten Lebenden häufiger Mietüberweisungen tätigen, um wohnen zu können. Ostdeutsche Städte wie Dresden, Leipzig oder Chemnitz haben zwar - im Bundesdurchschnitt gesehen - relativ geringe Wohnraumpreise, aber auch die bundesweit niedrigsten Anteile an Eigentümer*innen. 2020 waren nur zwölf Prozent der Wohnungen in Leipzig von der Person bewohnt, die sie auch besitzt. Westdeutsche Städte mit höheren Wohnraumpreisen haben trotz dessen oft höhere Eigentumsquoten.
Eine Erklärung dafür scheint schnell gefunden. Wirtschaftswunder im Westen, niedrige Mietpreise und Staatssozialismus im Osten. Vermögensaufbau und Erbe im Westen, Währungsunion und Verlust von Sparguthaben im Osten. Dazu kommt ein im postsowjetischen Kontext wahrscheinlich einzigartiger Faktor, der in Deutschland nach dem Zerfall des Ostblocks präsent war: hochmotivierte Investor*innen aus dem Westen, die eine Chance sahen, im Angesicht von günstigen Rahmenbedingungen günstige Immobilien zu erwerben. Im Gegensatz zu anderen postsozialistischen Staaten musste die DDR nicht in einen eigenständigen neuen Staat übergehen, sondern wurde an das Politik-, Wirtschafts- und Rechtssystem eines bereits existierenden Staates angeschlossen. Dadurch hatte (und hat) Ostdeutschland bis heute Zugriff auf Ressourcen, die andere ehemalige sozialistische Staaten nicht hatten - und durch die Verknüpfung von Ressourcen und Macht gibt es hierzulande Ostdeutsch-Westdeutsch-Problemlagen, die vielleicht vergleichbar sind mit gewissen Spannungsverhältnissen auf europäischer Ebene, aber nicht mit den Situationen in anderen ehemals sozialistisch geprägten Ländern, in denen kein Anschluss (wenn ihr mir dieses Wort noch einmal verzeiht, liebe Leser*innenschaft) geschah. In einem EU-weiten Vergleich von Eigentumsquoten aus dem Jahr 2015/2016 rangieren sämtliche ehemalige Ostblockstaaten auf den vordersten Plätzen, während die eher reicheren westeuropäischen Staaten gleichzeitig niedrigere Eigentumsquoten aufweisen. Schlusslicht des Vergleichs: Deutschland.
Es wird den letzten dreißig Jahren nicht gerecht, die Immobilienlage in Ostdeutschland damit abzuhandeln, westdeutschen ostdeutschen Immobilienbesitzer*innen Bereicherung vorzuwerfen. Gegen Ende der DDR waren zahlreiche Wohnungen und Häuser in Ostdeutschland dem Verfall so nahe, dass ohne viel Geld keine Weiternutzung möglich schien. Aus dem Westen wurde viel investiert, was auf den ersten Blick den Erhalt von Wohnraum förderte. Es gibt allerdings auch eine andere Seite der Medaille: Abwanderung und Leerstand; Themen, die heutzutage in den wenigsten Großstädten des Landes zur aktuellen Tagesordnung des Stadtrats gehören. Vor zwanzig Jahren werden in Leipzig gleichzeitig zur Sanierungswelle Wohnungen in Größenordnungen abgerissen, für die heute nicht mal annähernd äquivalente Neubau-Kapazitäten bestünden - aber wahrscheinlich wieder Bedarf. Damals schien es wohl eine angebrachte Reaktion auf die Notwendigkeiten des Marktes in einer postsozialistischen Gesellschaft. Aus heutiger Perspektive fällt es mir natürlich einfach, den damaligen Entscheider*innen Kurzsichtigkeit vorzuwerfen - allein schon aufgrund der sicher brisanten Klimabilanz.
Wem gehört nun aber der Osten? An wen zahlen die durchschnittlichen Ostdeutschen ihre Miete? Die oft verbreitete Annahme, dass der Osten vom Westen aufgekauft wurde und sämtliche ostdeutsche Mieter*innen der Gnade westdeutscher Eigentümer*innen ausgeliefert sind, ist wohl eine Übertreibung. Die Anteile am Wohneigentum weisen je nach Kommune große Unterschiede auf; die zahllosen westdeutschen Vermieter*innen in Dresden oder Leipzig sind nicht vergleichbar mit kleineren Städten oder Dörfern auf dem Land, in denen die Eigentumsquote auch im Osten höher liegt. Aber es ist doch bemerkenswert, dass vor allem in den Teilen Ostdeutschlands, in denen mit Immobilien und Grundbesitz am meisten Geld zu machen ist, die Eigentümer*innen überdurchschnittlich oft westdeutsch geprägte Biografien aufweisen - siehe Großstädte oder touristische Hotspots wie Ostseebäder. Dies gilt auch für die Unmengen an landwirtschaftlich nutzbarem Raum, den der Osten zu bieten hat und der eben nicht von kleinen Höfen und Familienbetrieben verwaltet wird, sondern in vielen Fällen von Großunternehmen und westdeutschen Investor*innen, die damit zur freien Verfügung spekulieren können. Und es bleibt Tatsache, dass Ostdeutschland nach wie vor ein Miet-Land ist, in dem mehr Menschen Miete zahlen als Miete einnehmen. In einem Deutschland, in dem (Stand 2017) Mieteinnahmen für 30 Prozent der Einkommensungleichheit aufkommen, ist dies ein relevanter Faktor, wenn es um Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit geht.
Geografischer Raum und Wohnraum, das sind Dinge, die in der menschlichen Psyche angelegt zu sein scheinen. Sie sind für viele mit starken Emotionen verbunden, mit Heimat- und Zugehörigkeitsgefühlen, mit Identität. Das Bedürfnis, irgendwo sesshaft zu sein, die eigenen vier Wände zu besitzen und nicht dem Schicksal ausgeliefert zu sein, ist uns anerzogen und wir werden in diese Denkweise hineinsozialisisert (egal, ob das Schicksal nun in Form von Großgrundbesitzer*innen oder Vermieter*innen auftritt). (Wohn)eigentum bleibt soziokulturell erwünscht. Das Ideal Immobilie ist oft verknüpft mit dem Ideal Leistung: Wenn man es durch eigener Hände Arbeit zu etwas bringt, hat man es "verdient", ein Haus zu bauen und in einem Grundbuch zu stehen. Vielen Ostdeutschen stieß es sauer auf, als nach 1989 Grundeigentum an Menschen aus dem Westen zurückging, die nichts dafür getan hatten, es zu erhalten und zu verdienen - was im Übrigen auch nicht in allen postsowjetischen Staaten so gehandhabt wurde. Manche ließen Eigentumsansprüche aus der Zeit vor den sozialistischen Enteignungen verfallen, andere fanden Wege, die ehemaligen Eigentümer*innen zu entschädigen.
Die Frage, welches Haus legitimerweise wessen Eigentum darstellt, die das postsozialistische Deutschland beantwortet haben wollte, finde ich persönlich zu kurz gedacht. Stattdessen, und das gilt gerade für Ostdeutschland, sollten wir uns ähnlich wie beim Konzept Erbe vielleicht überlegen, ob wir bestimmte gesellschaftliche Gegebenheiten, die wir bisher als gegeben hingenommen haben, vielleicht neu denken sollten. Ein Essay auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung bringt diese Dilemmata im Kontext der deutschen Einheit auf den Punkt:
"Eigentlich hätte 1989/90 im Rahmen des Einigungsvertrags diskutiert werden können (oder vielleicht auch müssen), was einen Immobilienbesitzer zum Eigentümer macht: die Pflege des Eigentums oder der Eintrag im Grundbuch? Wie sollte Eigentum erworben werden – durch Kaufen, Schenken, Erben oder die alte Tradition des Ersitzens? Diese Fragen wurden aber nicht ernsthaft besprochen, andere Themen schienen als brennender empfunden worden zu sein [...]."
Ist Vermietung (besonders im Angesicht von Wohnungsnot) eine legitime Einkommensquelle? Sollte es erlaubt sein, mit Wohnraum oder Land zu spekulieren - über die Köpfe der Leute hinweg, die diese Räume nutzen? Wie kann man die Bedürfnisse in unterschiedlichen Gemeinschaften ausgleichen - von Städten mit chronischem Wohnungsmangel über Dörfer mit Neubausiedlungen aus Eigenheimen bis hin zu kleinen Orten, in denen Leerstand und Verfall dominieren?
Es sind nicht alle Mieter*innen ostdeutsch, es sind nicht alle Vermieter*innen westdeutsch. Aber solange Wohnen in Deutschland im Wesentlichen eine Frage von Kapital und Ressourcen ist, bleibt auch das Verhältnis zwischen diesen beiden Partien eines von Macht - gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch: "Statt direkt nach Reichtum zu fragen, würde zumeist auch die Frage genügen: Mietest du noch - oder gehört es dir schon?" Und Machtverhältnisse verdienen es, kritisch hinterfragt zu werden.
Hanna
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