"Der Anteil Ostdeutscher in Spitzenpositionen in Wissenschaft, Verwaltung, Jurisprudenz, Medien und Wirtschaft beläuft sich derzeit auf durchschnittlich 1,7 Prozent!" (Dirk Oschmann, Der Osten: eine westdeutsche Erfindung, Berlin, 2023)
Solche statistischen Aussagen rufen in unterschiedlichen Teilen Deutschlands unterschiedliche Reaktionen hervor. Diese reichen von Gleichgültigkeit, Belustigung und Überzeugung von der ostdeutschen Ambitionslosigkeit bis hin zur Resignation, Empörung und Wut über den Verlust von Chancen. Erstere Empfindungen finden sich häufiger im Westen Deutschlands; letztere eher im Gebiet der ehemaligen DDR. Als zwei junge, ostdeutsch sozialisierte Frauen, die in diesem Teil Deutschlands leben, interessieren wir uns sehr für genau diese Thematik. Und dabei geht es uns eben nicht nur um diese 1,7 Prozent. Wir sind Hanna und Weronika, beide über ein Jahrzehnt nach der Wende geboren, und doch beschäftigt uns der innerdeutsche Widerspruch nach wie vor.
Hanna wurde im Jahr 2002 geboren, ist zusammen mit zwei Geschwistern in einem kleinen Dorf in Ostsachsen aufgewachsen und in Görlitz zur Schule gegangen. Seit 2021 studiert sie in Jena an der Friedrich-Schiller-Universität Anglistik/Amerikanistik und Kommunikationswissenschaft, die Dorfkind-Identität hat sie allerdings bis heute nicht abgelegt. Seitdem verbringt sie auch so einige Stunden ihres Lebens damit, in verspäteten Zügen zu sitzen, um hin und wieder mal die Heimat wiederzusehen. Ihre Mutter stammt auch aus dem oben genannten Dorf, während ihr Vater ursprünglich aus Sachsen-Anhalt kommt, beide Familienteile sind DDR-sozialisiert und das Thema der innerdeutschen Geschichte hat schon so manches Abendbrottischgespräch begleitet. Hanna beschäftigt sich gerne mit Politik, (Zeit)geschichte, Sprachen und Literatur, internationaler Zusammenarbeit sowie Bildungs- und Klimagerechtigkeit. In der übrigbleibenden Freizeit spielt sie Klavier und ist in der Natur unterwegs. Hanna ist im Botschafterprogramm der Studienstiftung aktiv und ist im Moment an der Organisation des Lausitzer Weltentausch-Festivals mitbeteiligt. Ab September wird sie für ein Semester an der KU Leuven in Belgien studieren.
Weronika wurde 2001 in Ludwigslust geboren und wuchs mit zwei Geschwistern ebenfalls in der Europastadt Görlitz auf. Ihr Vater kommt aus Mecklenburg, ihre Mutter aus Wrocław, Polen. Sie absolvierte ihr Abitur 2019 und lebte dann für ein Jahr auf der Insel Sideia, Papua-Neuguinea, bevor sie 2020 ihr Studium an der Universität Erfurt begann. Dort wird sie im Sommer 2023 ihren Bachelor in Katholischer Theologie und Mathematik abschließen. Weronika interessiert sich für DDR-Geschichte, Musik (Chor und Violine), Literatur, Bildungsgerechtigkeit im nationalen (Botschafterprogramm der Studienstiftung) und internationalen Bereich (Projekt Frag Biene), Programmierung, Sprachen, Wissenschaftskommunikation und so einige weitere Themen, die ihr aber nie einfallen, wenn sie nach ihren Interessen gefragt wird. Momentan verfasst sie ihre Bachelorarbeit zum Thema "Gäste im Philosophisch-Theologischen Studium Erfurt 1954-1990" und nimmt dabei jene Gastvorlesungen unter die Lupe, die damals an der einzigen Ausbildungsstätte für katholische Priester in der DDR stattgefunden haben. Die Archivarbeit ist ihre größte Freude (keine Ironie!). In der nichtexistenten Freizeit würde sie gerne mehr schwimmen gehen und Militärfilme schauen.
Entgegen aller Erwartungen haben wir uns nicht in Görlitz kennengelernt, sondern im April 2022 an einem Abendbrottisch des Jugendsporthotels Naumburg an der Saale, am ersten Abend des Willkommenswochenendes der Studienstiftung des deutschen Volkes, von der wir beide ein Stipendium beziehen. Seitdem sehen wir uns regelmäßig und sind dabei auch auf unsere Erfahrungen als im Osten aufgewachsene Nachwendekinder zu sprechen gekommen. Die Idee zu diesem Blog entstand im Frühjahr 2023, nachdem eine Fülle von Erfahrungen uns schier dazu gedrängt, aber eben auch motiviert hat, darüber zu berichten, was es für uns bedeutet, im östlichen Teil eines Nachwende-Deutschlands aufzuwachsen. Der Titel des Blogs fiel uns förmlich zu, weil wir es in den Medien und persönlichen Gesprächen zu oft erlebt haben, dass westdeutsch sozialisierte Personen meinten, uns unsere Heimat besser erklären zu können, als wir selbst dazu in der Lage sind - teilweise, ohne jemals hier gewesen zu sein. Ein klassischer Fall von "Westplaining". Dagegen möchten wir ein Zeichen setzen und den Osten als Ostdeutsche erklären: Eastplaining, ein Kunstwort aus den englischen Wörtern East (Osten) und ex-plaining (erklären).
Unser Plan ist es, alle zwei Wochen einen neuen Blogpost zu veröffentlichen, der auf unterhaltsame Art und Weise über unsere Erfahrungen als Nachwende-Ostdeutsche berichtet und über bestehende Vorurteile aufklärt. Vielleicht können unsere Texte auf niederschwelliger Ebene zu einem besseren deutsch-deutschen Verständnis beitragen.
Wir wünschen allen eine unterhaltsame und erhellende Lektüre!
Hanna und Weronika
15. April 2023
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