Schmerzhafte Ambivalenz

 Eigentlich wollte ich als Nächstes etwas über Regiolekte schreiben und darüber, wie unfair ich es finde, dass ostdeutscher Sprech so negativ konnotiert ist. Aber ich kann einfach noch nicht. Und ich glaube auch nicht, dass das, was ich gleich schreiben werde, unnötig ist, auch wenn es vielleicht schon so oft gesagt wurde. Aber manches kann man gar nicht oft genug sagen. 

Ich möchte erklären, wie ich mich als Ostdeutsche fühle, wenn ich sehe, was gerade in Deutschland passiert. Am besten lässt sich das mit einer schmerzhaften Ambivalenz erklären. Ich bin hin- und hergerissen. 
Warum haben wir diesen Blog angefangen? Weil wir darauf aufmerksam machen wollten, dass etwas in unserem Land nicht optimal verläuft. Dass die Teilung auf vielen Gebieten weiterhin Realität ist, dass Ostdeutsche weiterhin benachteiligt werden und dass es vielen Menschen egal ist, aber auch, dass sie dafür kaum Verständnis zeigen, wenn das Thema mal angesprochen wird. Wir möchten auf die Probleme hinweisen und an alle appellieren, diese wahr- und ernst zu nehmen. 
Aber es ist kompliziert. Denn neben der falsch gelaufenen Geschichte, die enorme Probleme nach sich zieht und viele gesellschaftlichen Umstände erklärt, leben wir auch in der Gegenwart, und in dieser Gegenwart gewinnt die AfD Landratswahlen und ist die stärkste Partei im Osten. Und während ich gerne darüber schreiben würde, welche ostdeutschen Produkte die Treuhand nicht geklaut hat und welche man bis heute kaufen und unterstützen kann oder wie dumm ich es finde, dass manche Regiolekte als schlechter angesehen werden als andere, kann ich es einfach nicht. Die AfD hat in Sonneberg kurz nach meinem letzten Beitrag ("Jetzt ist mal gut!") gewonnen, und alles in mir hat sich gesträubt, den überhaupt hochzuladen, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, er passt nicht mehr, das kann ich doch nicht mehr sagen, obwohl ich alles davon als wahr empfinde. Darüber habe ich auch mit Hanna an dem Abend gesprochen und wir waren uns einig, dass es diese schmerzhafte Ambivalenz ist, die uns hier hin- und herreißt. Einerseits wollen wir auf die Probleme aufmerksam machen, die dem Osten gemacht wurden und gemacht werden. Andererseits stehen wir ohnmächtig da, wenn die AfD wieder irgendwo gewinnt und menschenfeindliche Aussagen und Taten zur Norm werden. Ist es da noch angemessen, darüber zu schreiben, wie ungerecht der Osten behandelt wird? Oder ist das typisch ostdeutsches Gejammer, wie ich in der letzten Zeit mehrfach in renommierten Zeitungen gelesen habe, die immerwährende Suche nach einer Möglichkeit, sich in die Opferrolle zu zwängen? 

Ich finde nicht, dass es sich um Jammern handelt, wenn mit Fakten belegt wird, welche Benachteiligung der Osten erfährt. Aber es wird immer schwieriger, den Osten zu verteidigen, ohne sofort in die rechte Ecke gestellt oder zumindest als AfD-Sympathisant*in bezeichnet zu werden. Und das finde ich schwierig. Und schade. Denn die Welt hat nicht nur eine Seite, nichts hat nur eine Seite. Nichts hat nur zwei oder drei Seiten. Es ist völlig klar, dass Rechtsradikalismus und Menschenfeindlichkeit jeder Art aufs Schärfste verurteilt werden müssen. Und dahinter kommt kein Aber, welches das infrage stellen würde. Ich möchte nur auf die Ambivalenz hinweisen: wie ist es möglich, ein Thema zu verteidigen, während der größte Teil der Medien sich auf ein - auch wirklich großes - Problem fokussiert und dabei vereinfachend und verkürzt darstellt, wo aus ihrer Sicht der Grund dafür liegt? 

Wenn ich über den Osten schreibe und für den Osten argumentiere, dann schreibe und argumentiere ich nicht für diese menschenfeindlichen "Werte", die von der AfD propagiert werden. Das wäre ja auch völlig absurd. Viele vergessen, dass in den 2000er Jahren die NPD in Sachsen recht stark war und im Landtag saß. Viele haben überhaupt keine Ahnung davon, wie das eigentlich so war. Mit meinem Aussehen hatte ich da noch "Glück", ich bin blond und blauäugig wie mein jüngerer Bruder, und trotzdem haben uns unsere Eltern als Kinder mit Migrationshintergrund - per Definition - erklärt, dass wir nichts von Männern in Springerstiefeln annehmen sollen, schon gar keine Bonbons (die NPD verteilte damals Schokobonbons mit braunem Papier) und dass wir, wenn wir irgendwie solche Männer sahen, lieber nichts auf Polnisch sagen sollten. Ich weiß, wie es ist, wenn Plakate mit "Natürlich deutsch" und "Ausländer raus" an jedem Laternenpfahl hängen. Es ist kein schönes Gefühl, wenn die eigene Mutter sich auf der Straße nicht sicher fühlt, wenn sie angesprochen wird, weil sie mit Akzent spricht. Und ich weiß, dass diese Probleme für viele, viele Menschen in Deutschland noch viel, viel schlimmer sind. Was ich sagen möchte: ich unterschätze die AfD nicht, denn sie geht in genau diese Richtung. Ich schreibe und argumentiere nicht für sie, wenn ich für den Osten schreibe. 

Ich schreibe und argumentiere dafür, sich mit den Problemen tiefer auseinanderzusetzen und die Gründe dafür nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit zu suchen, die in die Gegenwart hineinwirkt. Man kann es nicht oft genug sagen: Die AfD ist nicht der Osten. Der Osten ist nicht die AfD. (An dieser Stelle nur ganz kurz die Bemerkung, dass die AfD eine Gründung westdeutscher Professoren ist). Und deswegen ist es schmerzhaft, wenn ich das Gefühl habe, dass diese beiden Begriffe immer untrennbarer miteinander verbunden werden und es darauf hinausläuft: alles Gute, was ich über den Osten schreibe, jede Verteidigung wird so interpretiert, als würde ich die AfD damit bezeichnen. Aber so ist es ja nicht!! Und so wird es auch nie sein! 

Ich plädiere dafür, dass Probleme und Benachteiligungen des Ostens aufgezeigt werden können, ohne, dass man sofort sagen muss, wie man sich von der AfD distanziert. Warum nur ist das zu so einer Zwangsläufigkeit geworden? Sollte es nicht völlig klar sein, dass die Welt komplex ist und man hier auf einen Teilbereich einer Problematik hinweist, die eben auch komplex ist? Ich finde es unfassbar wichtig, auf das Problem mit der AfD hinzuweisen, das es nun einmal gibt und das auch im Osten eine große Rolle spielt. Aber ich möchte auch über andere Probleme im Osten - und Westen - berichten können, ohne mich direkt schlecht zu fühlen, weil ich etwas verschweige oder ignoriere oder nicht klar genug formuliere. Ich glaube nicht, dass ich damit ein Vorwurfskarussel anwerfe oder das eine Problem kleiner mache, indem ich mich mal auf ein anderes konzentriere. Ich glaube auch weiterhin nicht, dass die Ostdeutschen sich stets nur in die Opferrolle bewegen wollen, weil es bequemer ist, und deshalb jammern, um von ihrem "Demokratieproblem" abzulenken. Ich glaube - nein, ich weiß - dass die Benachteiligung real existiert, und die Debatte darüber ist ebenso berechtigt wie die Debatte über Rechtsradikalismus. Das möchte ich hier nicht vergleichen oder in Relation setzen. Mein Punkt ist nur: Im heutigen gesellschaftlichen Diskurs nehme ich die Tendenz wahr, alles miteinander zu vergleichen, was teilweise gar nicht vergleichbar ist. Probleme sind vielschichtig und liegen auf verschiedenen Ebenen, und dennoch hat ihre Klärung jede Berechtigung. Manche sind dringlicher als andere. Aber einige Probleme zu marginalisieren, um sich nur noch mit einem nicht vollständig dargestellten Problem auseinanderzusetzen, halte ich für falsch. 

Probleme sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ich möchte mich nicht in dem Zustand dieser schmerzhaften Ambivalenz befinden. Ich möchte, dass klar und fair benannt wird, welche Benachteiligungen der Osten erfährt, und ebenso, dass eindeutig gegen Rechtspopulismus und Radikalität vorgegangen wird, ohne, dass das gegeneinander steht. Und dafür werde ich mich weiterhin einsetzen. 

Weronika









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