(Ost-)Deutsche Identität im Ausland

Bevor ich mit dem eigentlichen Beitrag beginne, noch einmal der Hinweis: Die Tickets fürs N5-Symposium, über das wir in einem Blogbeitrag berichtet haben, sind live! Hier geht es zur Seite von N5. Momentan sind noch EarlyBird-Tickets verfügbar! Die Studierendenkonferenz für Ostdeutschland findet vom 17.-18. November in Erfurt statt. Es werden Keynote-Speaker, verschiedene Panels und Workshops erwartet - mehr Infos findet ihr auf der Internetseite. Ich werde auch dabei sein! Herzliche Einladung!!


Seit fast zwei Monaten bin ich in den USA, und absolviere ein Praktikum in San Antonio in Texas. (Mehr darüber auf meinem anderen Blog Weronika in Texas, ja, schamlose Eigenwerbung im zweiten Satz, und wo wir gerade dabei sind, Hanna ist jetzt in Leuven fürs Auslandssemester und schreibt darüber auf Fast schon Brüssel.)

In dieser Zeit wurde ich natürlich oft nach meiner Herkunft gefragt, und bei diesen Gesprächen tat sich ein Muster auf, das mich zwar nicht überrascht, aber zum Nachdenken gebracht hat. Schon als Kind ist mir schmerzhaft aufgefallen, dass mir in Deutschland und Polen mit negativen Vorurteilen bezüglich des anderen Landes begegnet wird. In Deutschland wurde ich - besonders auch in der Schule - regelmäßig als Diebin oder schmutzig bezeichnet,  manchmal mit "witzigem" Unterton, manchmal ernster gemeint. In Polen hingegen wurden meine Geschwister und ich mit Nazi-Vergleichen und "Witzen" beleidigt, oder einfach als sehr reich und verschwenderisch angenommen. Das fand ich immer unverständlich,  weil meine Familie nun definitiv nicht zur Oberschicht gehörte, und ich fragte mich, warum Menschen glaubten,  wir hätten so viel mehr Geld, weil wir auf der anderen Seite der Grenze lebten. (Spoiler: weil viele automatisch davon ausgehen, dass alle in Westdeutschland bzw. in westdeutschen Einkommensverhältnissen leben...) Nun, diese Vorurteile auf beiden Seiten ärgerten mich dermaßen, dass ich in der 10. Klasse meine Jahresarbeit dazu verfasste. Sie trug den Titel "Nazis vs. Diebe? Deutsch-polnische Verhältnisse seit 1939 und ihre Auswirkungen auf die Menschen". Ich wollte die historischen Hintergründe dieser Vorurteile beleuchten,  und die fand ich auch - jedoch keine zufriedenstellende Erklärung dafür, warum meine Altersgenoss*innen auf beiden Seiten der Grenze mitunter der Meinung waren, diese Ansichten bis ins 21. Jahrhundert unreflektiert weiterzutragen und mich und andere damit zu verletzen. 

Jetzt bin ich in den USA, und wie in vielen anderen Ländern, die ich bereisen durfte, werde ich nach meiner Herkunft gefragt. Der gemeinsame Nenner dieser Gespräche ist: Deutsche sind reich, finden Hitler immer noch toll, tragen Lederhosen, trinken Bier und - sind aus Westdeutschland. (Außerdem haben erstaunlich viele Leute ein Problem damit, dass ich aus zwei Ländern komme. Ich verstehe nicht, wie man ernsthaft der Meinung sein kann, es wäre in Ordnung, mir einen Teil meiner Identität abzusprechen. So stabil kann die eigene Identität wohl nicht sein, wenn man sich von der einer anderen Person angegriffen fühlt.) So, aber zurück zum Thema: Ostdeutschland wird nicht nur innerdeutsch ignoriert, sondern auch im Ausland. Wenn jemand zu mir sagt "Ja, ich war auch schon in Deutschland!" und dann anfängt, Städte aufzuzählen, sind es ausschließlich westdeutsche Städte. Und wenn ich nach meinem Wohn- oder Herkunftsort gefragt werde und antworte,  folgt in den allermeisten Fällen Stirnrunzeln und die Bitte, einen nahe gelegenen größeren Ort zu nennen. Das ist im Fall von Dörfern ja normal, aber Erfurt ist absolut kein Dorf. Leipzig oder Dresden oder Potsdam kennt auch niemand. Stuttgart, Mannheim, Dortmund, Hannover aber schon. Im Ausland wird Deutschland auf den Westen reduziert,  oft mit einer bayrischen Note. Als ich hier ein Volksfest besuchte und dort den "deutschen" Stand vorfand, sah ich bayrische Fahnen, Dirndl und Sauerkraut mit Kartoffelsalat. (Als Bratwurst kann ich das, was man mir anbot, beim besten Willen nicht bezeichnen.) Vom Osten hat niemand eine Ahnung,  viele wissen nicht einmal,  dass Deutschland so lange geteilt war, geschweige denn davon, dass die Auswirkungen immer noch zu spüren sind. Dirk Oschmann schrieb in seinem Buch: "Zum Deutschen wird der Ostdeutsche erst im Ausland." Ja, aber was für eine Art des Deutschseins ist das? Und warum denken so viele, dass Hitler als Nationalheld gefeiert wird? (Nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Ländern...) 

Es liegt natürlich an uns selbst. Wir kennen uns ja schließlich auch nicht mit der Geschichte und Lebensrealität aller Länder aus. Die Art und Weise,  wie Länder sich selbst in den Medien darstellen,  hat großen Einfluss auf die Wahrnehmung im Ausland. In den Medien finden sich kaum Informationen über Ostdeutschland,  woher sollten die Leute also etwas darüber wissen? Trotzdem ärgert mich die Ignoranz manchmal ein bisschen, gerade auch hier in den USA, wenn niemand Weimar oder Erfurt kennt und alle denken, Goethe hätte seine Werke in Frankfurt verfasst, und jenseits davon gäbe es in Europa sowieso nichts zu sehen. Wenn mir jemand hier erzählt, er oder sie sei schon "überall in Europa" gewesen, heißt das in 9 von 10 Fällen "überall außer in Osteuropa". Und Osteuropa macht doch nun wirklich einen signifikanten Teil Europas aus, scheint aber nicht wichtig genug zu sein. Tja. 

Ich nutze diese Gelegenheiten also, um subtil das deutsch-deutsche Verhältnis zu erklären und darüber zu berichten, wie ich aufgewachsen bin. Es ist nicht einfach, weil das eine völlig andere Lebensrealität darstellt, und außer mir haben die Leute meist noch nie jemanden aus Ostdeutschland getroffen. Alle Deutschen, die ich in den USA kennengelernt habe, kamen aus dem Westen. 

Ich wünsche mir - immer und immer wieder  - mehr ostdeutsche Medienpräsenz, aber auch Maßnahmen, die es Ostdeutschen ermöglichen, ins Ausland zu gehen. Der Fakt, dass man keine trifft, spricht schon für sich. Zum Schluss dieser Gedankenwanderung noch eine kurze Geschichte: eine Schwester hat mich gefragt, welche deutsche Stadt empfehlenswert wäre, um die Advents- und Weihnachtszeit dort zu verbringen. Ihre leibliche Schwester und deren Familie möchten dieses Jahr dort hin, und Dresden sei einer der Orte, die bei der Internetrecherche aufgekommen waren. Ich habe ihr Dresden wärmstens empfohlen. 

Weronika 

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