„Deine Herkunft
hört man dir ja überhaupt nicht an!“ Diesen Satz höre ich gelegentlich. Manchmal
bezieht sich das absurderweise darauf, dass ich ja auch aus Polen komme (absurd
deshalb, weil das Konzept der Zweisprachigkeit eben genau darauf beruht, dass
man in keiner Sprache einen Akzent hat, wofür meine Eltern sehr gut gesorgt
haben). Aber sehr oft bezieht sich das darauf, dass ich kein Sächsisch spreche,
obwohl ich in Sachsen aufgewachsen bin. Ich erkläre dann immer „Ja, aber erstens
ist Görlitz doch eher schlesisch angehaucht und zweitens kommt mein Vater aus
Mecklenburg und hat Hochdeutsch mit uns gesprochen, deshalb…“. Manchmal kommt
dann sowas wie „Na, da hast du ja Glück gehabt.“
Hm.
Warum
eigentlich? Bekommen Franken das auch gesagt, wenn sie das R nicht rollen?
Vermutlich eher nicht. Denn ostdeutsche Regiolekte (kurz zur Definition:
Regiolekte beziehen sich auf Muttersprachler*innen aus unterschiedlichen
Regionen, Akzente auf Nicht-Muttersprachler*innen) werden negativer
wahrgenommen, insbesondere auf das Sächsische trifft das zu. Über 50% der
Befragten einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts gaben an,
diesen Regiolekt überhaupt nicht zu mögen. Das spiegelt sich in der Realität
wider. Ich gehöre zwar nicht zu denjenigen, die den sächsischen Regiolekt
überhaupt gesprochen haben, aber ich kenne viele in meinem Alter und im Alter
meiner Eltern, die sich den Regiolekt im Zusammenhang mit Uni, Arbeit oder
sogar dem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis abgewöhnt haben – weil sie dafür
ausgelacht, verspottet und beleidigt wurden. Nicht dafür, worüber sie
gesprochen oder was sie gesagt haben, sondern dafür, wie sie
gesprochen haben. Der Regiolekt wird zum Markenzeichen. Und um ernstgenommen zu
werden, trainieren sich viele ihren Regiolekt ab. Der Anteil der ostdeutschen
Bevölkerung, die einen Regiolekt spricht, ist seit 1990 deutlich gesunken – auf
33%. (Krautreporter, 2019) Manche sprechen ihn nur noch innerhalb der Familie und nutzen nach außen
hin Hochdeutsch. Viele geben es gar nicht erst an ihre Kinder weiter, weil sie
das Gefühl haben, vermittelt zu kommen: Wie du sprichst, ist schlecht. Du
solltest anders sprechen, wenn du etwas erreichen willst.
Letztes Jahr
habe ich an einem Sprecherziehungskurs an der Uni teilgenommen, in dem der
Fokus einer Einheit auch darauf lag, seinen Regiolekt „loszuwerden“. Gerade für
zukünftige Lehrer*innen sei das wichtig, damit die Kinder das nicht
„nachmachen“. So wird schon internalisiert, dass am Regiolekt etwas verkehrt
ist. Das führt wiederum dazu, dass noch weniger Menschen sich dafür
entscheiden, ihn zu sprechen. In der Öffentlichkeit hört man sowieso kaum noch
Regiolekte, in der Politik sprechen die meisten Hochdeutsch (gut, die einige Leute
aus Bayern ausgenommen, und warum ist es bei denen in Ordnung und bei Ostdeutsche
nicht?). Und wenn ostdeutsche Regiolekte thematisiert werden – sei es in den
Unterhaltungsmedien oder in Alltagsgesprächen – so ist das meist negativ
konnotiert. Den Satz „Ich könnte nie mit jemandem zusammen sein, der sächsisch
spricht“ hat dieses Jahr erst jemand zu mir gesagt. Ostdeutsche Regiolekte,
besonders der sächsische, werden als Symbol für alle negativen Eigenschaften
des stereotypischen Ostdeutschen wahrgenommen. Sächsisch klingt dumm, lächerlich,
ungebildet, hinterwäldlerisch und außerdem rechts. Wirklich, ich finde die
Videos von Phil Laude superlustig, auch die, in denen er Reichsbürger
darstellt. Aber mittlerweile finde ich es nicht in Ordnung, dass der
Reichsbürger immer nur sächsisch spricht. Und nicht nur das: Sächsisch spricht
auch nur der Reichsbürger. Solche Beispiele finden sich zu großer Zahl. Ich sehe
es als legitim an, dass Satire Regiolekte nutzt, aber solche einseitigen
Darstellungen führen letztlich nur zu einer Verschärfung des ohnehin schon
fragwürdigen Bildes, das manche Menschen von Ostdeutschen haben.
Deshalb möchte
ich ein Plädoyer für die Revision unseres Umgangs mit Regiolekten verfassen.
Ich glaube, dass die Ursachen für dieses Problem vielschichtig sind. Einerseits:
die verfremdete Wahrnehmung des Ostens, demzufolge auch die negative
Wahrnehmung seiner Regiolekte. Andererseits: ach, eigentlich die Menschheit an
sich. Warum nur, warum sind wir der Meinung, dass die Aussprache von Wörtern
wichtiger ist als die Wörter selbst? Warum werden Menschen, die mit bestimmten Regiolekten
oder Akzenten sprechen, behandelt, als seien sie schlechter als andere? Denn
das bezieht sich ja nicht nur auf Regiolekte, sondern auch auf Akzente. Ich
kann mit 100%iger Sicherheit sagen, dass meine Mutter, die Deutsch mit
polnischem Akzent spricht, deswegen manchmal schlechter und herabwürdigender
behandelt wird als jemand, der einen französischen oder britischen Akzent hat.
Weil slawische Akzente im Deutschen negativer wahrgenommen werden als andere. Wer
sich fragt warum, hat in „Rassismus“ eine gute Antwort dafür. Dabei muss man
sich doch nur mal vor Augen halten, dass jemand, der mit Akzent spricht,
mindestens zwei Sprachen kann, und gerade mit dir in deiner Sprache
kommuniziert, weil du seine oder ihre Sprache nicht sprichst. Und
trotzdem behandelst du die Person herablassend, als wäre sie dümmer als du und
dir unterlegen? Und manche Menschen tun genau das auch, wenn sie ostdeutsche Regiolekte
hören. Sie machen sich darüber lustig und denken, sie wären per se besser, weil
sie keinen oder einen anderen Regiolekt sprechen.
Ich wünsche mir
ein Land, in dem jede Person ihren Regiolekt sprechen kann, ohne deshalb
benachteiligt (oder bevorzugt!) zu werden. Solange man sich gegenseitig versteht,
ist doch alles in Ordnung. Ich wünsche mir, dass sich niemand dafür schämen
muss, wie er oder sie spricht. Ich wünsche mir, dass wir unsere Regiolekte als Bereicherung und nicht als Nachteil ansehen. Ich wünsche mir auch, dass mehr Personen
öffentlichen Lebens ihre Regiolekte nutzen. Ich werde nie vergessen, wie Katrin
Göring-Eckardt bei der Oschmann-Lesung im Juni erzählt hat, wie sie sich ihren
Thüringer Regiolekt erst ab- und dann langsam wieder angewöhnt hat, wie sie
anfing, plötzlich auf thüringisch zu reden und der ganze Saal geklatscht hat.
Das war ein schöner Moment, weil er gezeigt hat, dass sich die Menschen
verbunden gefühlt haben!
Wann hören wir
endlich damit auf, so zu tun, als seien Regiolekte und Akzente etwas Schlechtes?
Vermutlich dann, wenn wir aufhören, die Herkunft eines Menschen für wichtiger
zu halten als das, was dieser Mensch zu sagen hat. Es ist nie zu spät, damit
anzufangen – das kann jede Person in ihrem Leben tun. Und wenn das nächste Mal
jemand über das Sächsische lästert – erzählt der Person ruhig von diesem Blog.
Weronika
P.S.: Die Tickets fürs N5-Symposium, über das wir in einem Blogbeitrag berichtet haben, sind live! Hier geht es zur Seite. Die Studierendenkonferenz für Ostdeutschland findet vom 17.-18. November in Erfurt statt. Herzliche Einladung!!
Super Text! Als Brandenburgerin kann ich das total gut nachvollziehen, deshalb spreche ich meinen Regiolekt immer nur noch in der Familie oder mit sehr guten Freunden (manchmal aber auch mit Absicht in anderen Runden, weil ich gelegentlich keine Lust habe meine Sprache ständig anzupassen).
AntwortenLöschenDankeschön!! Ja, das habe ich auch schon oft gehört. Ich finde es gut, dass du das auch manchmal einfach durchziehst. Gerade wegen Leuten wie dir kommt es am Ende auch dazu, dass Regiolekte mehr akzeptiert werden, einfach, weil sie mehr in der Öffentlichkeit präsent sind und es hoffentlich irgendwann niemand mehr "seltsam" findet!!
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